München – Am bayerischen Immobilienmarkt geschieht derzeit Ungewöhnliches: Umsätze sacken ab, Projekte werden verschoben, Kaufpreise sinken. Die Inflation und die Unsicherheit angesichts des Ukraine-Krieges haben deutliche Spuren hinterlassen. Was bedeutet das für Kaufwillige? Bauherren? Kapitalanleger? Eigenheimbesitzer? Wie geht es weiter am Immobilienmarkt der Metropolregion München mit ihrem ausgedehnten Speckgürtel? Darüber sprachen wir mit einer ganzen Reihe von Experten.
Heute: Der Makler.
Stephan Kippes kennt den bayerischen Immobilienmarkt seit Jahrzehnten wie kaum ein anderer. Mehrmals im Jahr stellt sein Verband, der Immobilienverband Süd (IVD), einen großen Marktreport zusammen. Ein Ergebnis wie zuletzt gab es lange nicht mehr: Die Umsätze im Immobiliengeschäft sind eingebrochen. IVD-Forschungs-Chef Kippes erklärt, warum das seiner Ansicht nach so ist.
Die Immobilienumsätze in Bayern sind in den vergangenen sechs Monaten um 11 Prozent eingebrochen. Woran liegt das?
Der Hauptgrund sind die deutlich höheren Zinsen. Die Finanzierungen von Eigennutzern sind oft auf Kante genäht, da machen schon geringe Unterschiede viel aus. Denn die summieren sich auf große Beträge.
Wie groß?
Noch vor einem Dreivierteljahr waren die Hypothekenzinsen auf zehn Jahre bei 0,80 Prozent. Heute sind es deutlich über drei Prozent, oft schon über vier Prozent. Wenn wir eine Finanzierung von 350 000 Euro nehmen – und das ist in München ja nicht viel – und den Zinssatz von 0,8 Prozent mit 3,6 Prozent jetzt vergleichen, dann muss ein Käufer heute jeden Monat 815 Euro mehr bezahlen als zu Niedrigstzinszeiten.
Das heißt also, die Umsätze brechen ein, weil Bauprojekte wegen zu teurer Finanzierung nicht zustande kommen?
Ja, die Bauträgerumsätze gingen zurück, aber das ist es nicht allein. Auch Bestandsobjekte werden seltener verkauft. Auch dafür müssten ja die meisten Interessenten ein Darlehen zu wesentlich höheren Zinsen aufnehmen.
Werden Häuser und Wohnungen jetzt billiger?
Zumindest ist die Zeit der steigenden Preise – jedenfalls mittelfristig – vorbei, ganz eindeutig.
In einigen Bereichen gibt es auch schon Preisrücknahmen. In welcher Größenordnung?
Das ist jetzt noch nicht gewaltig, es sind so um ein halbes Prozent herum in München. Aber wir sind hier ja ganz andere Dimensionen nach oben gewöhnt, sodass der Rückgang schon beachtlich ist. Außerdem muss man die Inflation einbeziehen, die ja zuletzt über zehn Prozent lag. Die aufgerufenen Immobilienpreise sind ja nicht inflationsbereinigt. Das müsste man geistig mitberücksichtigen. Interessant ist auch der Baugrundpreis für Geschossbau, also das Vorprodukt für den Bauträger. Da sind die Preise in München um 1,2 Prozent zurückgegangen.
Klingt auch nicht nach viel.
Solche Baugrundstücke wurden früher versteigert. Jeder Bauträger hat versucht, so ein Grundstück zu bekommen. Heute sind Grundstücksangebote da, bei denen kaum noch jemand den Finger hebt.
Was ist mit den Mieten?
Man könnte intuitiv denken, wenn die Kaufpreise sinken, dann sinken auch die Mieten. Aber so ist es nicht. Denn Leute, die sonst auf dem Kaufmarkt zugeschlagen hätten, mieten jetzt lieber. Das sind Leute, die finanziell nicht schlecht aufgestellt sind, aber angesichts des Zinssprungs den Eigenerwerb nicht mehr schaffen. Deshalb treten sie nun in Konkurrenz zur klassischen Mietmarktklientel. Damit haben wir weiter steigende Mieten, allerdings nicht stark steigenden wie in den Jahren davor.
Das RWI Leibniz Institut hat kürzlich errechnet, dass unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung im Jahr 2050 Häuser um 18 Prozent und Mieten um 15 Prozent billiger sein werden. Halten Sie das in Oberbayern für realistisch?
Es kann schon sein, dass die Preise zwischendurch auch hier einmal merklich nach unten gehen. Nach dem heftigen Anstiegen wäre das keine ungesunde Entwicklung. Gegen langfristig sinkende Preise spricht eine Sache: Der Zuzug. Für München wird bis zum Jahr 2040 stabil ein Bevölkerungszuwachs von 0,71 Prozent prognostiziert. Jedes Jahr. Das ist die magische Zahl für einen Marktforscher. Zum anderen haben wir einen offenbar nicht zu stoppenden Trend zu immer geringerer Wohnungsbelegung.
Sie meinen, dass pro Kopf immer mehr Quadratmeter bewohnt werden?
Genau. In München sind mittlerweile 54 Prozent aller Haushalte Ein-Personen-Haushalte. Das bedeutet einen riesigen Wohnflächenfraß. Diese Kombination aus Zuzug und immer mehr Quadratmetern verhindert das nachhaltige Sinken der Preise in München.
Wie könnte man das aufbrechen?
Wo man ansetzen müsste, ist unsere Strukturpolitik. Wir haben in Bayern Metropolregionen, die unter Wohnungsnotstand leiden, wir haben aber genauso Kommunen, wo Bürgermeister um jeden Einwohner kämpfen.
Wie ändert man das?
Es ist ja so, dass viele ländliche Gebiete etwas abgehängt sind, was die Infrastruktur angeht. Wenn in Gemeinden die Bahn nicht mehr hält, es keine Bank, keine Post und keinen Bäcker mehr gibt, weiterführende Schulen schließen und dann auch noch das letzte Wirtshaus am Ort zusperrt, dann ist das für viele das Signal, zu gehen. Und viele ziehen Richtung München. Gar nicht mal, weil München so schön ist – obwohl es das natürlich ist – sondern weil sie einfach der Infrastruktur und den Jobs folgen. Gerade in der Pandemiezeit hätten wir die Chance gehabt, diesen Gemeinden etwas Gutes zu tun und München zu entlasten. Homeoffice hätte und hat ja einiges ermöglicht.
Vorausgesetzt, es gibt vernünftiges Internet.
Genau. Niemand kann Homeoffice machen, wenn das Internet wacklig ist. Ich bleibe dabei: Wenn man die Probleme in München und Umgebung lösen will, muss man endlich eine engagiertere Strukturpolitik machen.
Interview: Corinna Maier