München – Die Bundeswehr soll schlagkräftiger werden und die EU unabhängiger von den USA, was ihre Verteidigung angeht. Gute Zeiten für Rüstungsunternehmen, könnte man meinen. Nicht unbedingt, findet der Chef von Krauss-Maffei Wegmann, Ralf Ketzel, im Interview am Firmensitz in Allach.
Herr Ketzel, die Bundesregierung hat ein 100-Milliarden-Paket zur General-Sanierung der Bundeswehr angekündigt. Ist die Zeitenwende inzwischen bei Ihnen angekommen?
Wir haben seither diverse Gespräche zu Programmen geführt. Konkrete Aufträge, die man der Zeitenwende zuordnen könnte, haben wir bislang nicht.
Aber die Bundesregierung hat doch im Juli für die Bundeswehr eigens ein Beschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht?
Das ist eher eine Sache des Bundeshaushalts. Im Kern geht es darum, welche Programme zu welchem Zeitpunkt im Etat hinterlegt werden. Das ist ein politischer Prozess, den Deutschland nicht geändert hat.
Bei der Beschaffung sind für das kommende Jahr im Verteidigungsetat insgesamt 10,6 Milliarden Euro vorgesehen. Dazu kommen weitere 8,4 Milliarden aus dem sogenannten Sondervermögen. Macht zusammen 19 Milliarden Euro. Was ist für Sie drin?
Offen gestanden sind wir da enttäuscht. Natürlich ist im Haushalt auch unser Schützenpanzer Puma berücksichtigt, allerdings nur mit 50 Einheiten. Eigentlich waren bei den ursprünglichen Planungen für dieses System mehrere 100 Einheiten die Ziel-Vorgabe. Aber wir gehen fest davon aus, dass die avisierten Bestellungen dann in den kommenden Jahren kommen.
Wird die Bundeswehr ihre Schlagkraft überhaupt verbessern können?
Das Sondervermögen braucht die Bundeswehr vor allem für dringende, strategische Anschaffungen. Da geht es um Themen wie Digitalisierung, nukleare Teilhabe oder neue Hubschrauber. Um die Bundeswehr moderner zu machen, benötigen wir aber die zwei Prozent, die wir der Nato zugesagt haben. Nur so schaffen wir die Grundlage, um eine kontinuierliche Beschaffung sicherzustellen und Preissteigerungen und Inflation auszugleichen. Mit den Milliarden aus dem Sondervermögen wird dieses Problem jedenfalls nicht gelöst.
Die Vorarbeiten für den geplanten deutsch-französischen Kampfjet haben gerade die nächste Stufe genommen. Beim zweiten geplanten europäischen Großprojekt, dem Kampfpanzer (MGCS), sind Sie mit Rheinmetall und Ihrem französischen Partner Nexter im Boot. Aber da geht es nur sehr schleppend voran. Wo hakt es denn?
Beide Programme sind miteinander gekoppelt. Das hat das MGCS gebremst. Der Anspruch bei diesem Projekt ist nicht, nur einen neuen Panzer zu bauen. Das können wir schneller. Es geht um eine völlig neue Technologie, um Vernetzung, den Einsatz von Drohnen und von Systemen, die man mit und ohne Besatzung betreiben kann.
Bei den beiden großen europäischen Rüstungsprojekten wollen sich Frankreich und Deutschland die industrielle Führung eigentlich teilen. Beim Next-Gen-Jet soll Frankreich in den Lead, beim Panzerprojekt KMW. Haben Sie die Führung?
Wir haben bei diesem Projekt in Frankreich mit Nexter einen Partner und auf deutscher Seite mit Rheinmetall und KMW zwei Unternehmen. Das führt zu einer stark erhöhten Komplexität und schwächt die Führung. Denn auf der einen Seite gibt es eine klare Position, auf der anderen Seite gibt es Diskussionen.
Die gewählte Führungsstruktur ist also nicht wirklich glücklich?
KMW ist seit Jahrzehnten das führende europäische Systemhaus für schwere Panzer wie den Leopard 1 und den Leopard 2 und die Artillerie. Dennoch wurde in Deutschland die Entscheidung getroffen, Rheinmetall zusätzlich ins Boot zu holen. In Frankreich ist Nexter dagegen der einzige Partner, der die französische Armee in allen Aspekten unterstützt. Bei einem deutsch-französischen Gemeinschaftsprojekt wäre die natürliche Brücke Nexter und KMW gewesen. Die Beteiligung von Rheinmetall erschließt sich mir daher nicht.
Leichter wird es bei dem Projekt auch künftig nicht. Auf dem Panzermarkt macht Ihnen jetzt ausgerechnet Ihr Partner Rheinmetall mit dem Panzer KF51 Konkurrenz. Wie sehen Sie das?
Wir sehen das sehr kritisch. Rheinmetall geht in einem Feld an den Start, wo wir eigentlich eine deutsch-französische Kooperation geplant haben. Die Idee war, dass die nächste Generation schwerer Gefechtssysteme künftig aus Deutschland und Frankreich kommt. Jetzt tritt einer der drei Partner mit einer eigenen Lösung an. Wirtschaftlich mag das durchaus nachvollziehbar sein. Aber wenn man die Partnerschaft in einem Konsortium so verletzt – und das auch noch vor der Haustür eines Partners –, kann man kein Partner mehr in diesem Konsortium sein.
Wie erklären Sie sich, dass Rheinmetall so dazwischengrätscht?
Das haben wir bereits beim Puma erlebt. Als das Konzept international marktfähig war, tauchte der Lynx auf. Das macht die Kooperationsfähigkeit auf der nationalen Ebene schwierig. Wir hatten lange den Plan, dass Boxer und Puma von beiden Häusern gemeinsam vermarktet werden können. Dann hat Rheinmetall den Alleingang gewählt.
Klingt so, als sei Ihr Verhältnis mit Rheinmetall nun etwas vergiftet?
Beim MGCS sehen wir das in der Tat sehr kritisch. Das Projekt ist politisch sensibel. In Deutschland hat es bei den schweren Kampfsystemen über Jahrzehnte eine klare Rollenverteilung gegeben, etwa beim Leopard oder Panzerhaubitzen. Dass Rheinmetall nun so vorprescht, empfinden wir gelinde gesagt als sehr unglücklich.
Der KF51 ist aber mit 51 Tonnen deutlich leichter als der Leo 2 und schwerer bewaffnet und mit Stückpreis von 15 Millionen Euro auch noch vier Millionen günstiger als der Leo 2. Der Heeresinspekteur hat die Gewichtsvorteile des KF51 bereits öffentlich gelobt.
Der Leopard ist und bleibt auch auf absehbare Zeit weiter State-of-the-Art. Wir gehen davon aus, dass der Leopard für viele Armeen auch für die kommenden Jahrzehnte das Rückgrat der Landstreitkräfte bleiben wird. Der KF51 ist dagegen eher ein 3-D-Powerpoint-Projekt. Weder für Gewicht noch Preis gibt es eine belastbare Grundlage. Die entscheidende Frage wird am Ende sein: Wollen wir die funktionierende Zusammenarbeit zwischen den 14 europäischen Nationen, in denen der Leopard im Einsatz ist, aufgeben zugunsten eines neuen Fahrzeugs, das den geplanten Quantensprung gar nicht bietet?
Aber die Vision eines europaweit einheitlichen Nachfolgers für den Leopard 2 wackelt doch schon jetzt?
Es stimmt: Polen hat sich gerade für den südkoreanischen Kampfpanzer K2 entschieden. In Norwegen läuft die Auswahl noch. Wir hoffen, dass die Norweger nicht den gleichen Fehler machen. Aber wenn wir in Europa bei zentralen Rüstungsthemen jetzt wieder diversifizieren, dürfen wir uns nicht wundern, wenn Korea, Australien oder die USA diese Themen künftig dominieren und wir uns keine europäische Industrie auf diesem Feld mehr leisten können.
Wenn Europa es mit der Idee ernst meint, sich bei der Landesverteidigung von den USA zu emanzipieren, können wir uns solche Alleingänge nicht leisten?
Richtig. Wir brauchen ein einheitliches Konzept zur Modernisierung der europäischen Panzerflotte. Das ist bislang gut gelaufen, weil wir hier einen Standard-Panzer haben. Aber jetzt müssen wir die Brücke zum MGCS bauen. Ein Panzer wie der KF51 passt hier nicht rein.
Interview: Thomas Schmidtutz