München – Lebenspolicen sind ein wichtiger Pfeiler der privaten Altersvorsorge in Deutschland. 84 Millionen Bundesbürger halten knapp 87 Millionen solcher Verträge. Aber der Deutschen liebstes Vorsorgeprodukt ist in den letzten Jahren durch Niedrigzinsen stark unter die Räder gekommen. Das könnte sich nun mit allgemein starkem Zinsanstieg wieder ändern, könnte man meinen. Aber daraus wird wohl nichts. Versicherer, die dieser Tage erklären, wie sich bei ihnen die Verzinsung 2023 ändert, lassen in der Masse alles beim Alten. Eine rare Ausnahme Allianz Leben in Stuttgart. „Das ist ein starkes Signal“, findet Volker Priebe als dortiger Privatkunden-Chef. Sie erhöht für 2023 nämlich ihre laufende Verzinsung über alle Arten von Lebenspolicen um 0,3 Prozentpunkte. Bei klassischen Policen mit noch relativ hohen Garantieleistungen steigt damit die Gesamtverzinsung auf 3,2 Prozent. Bei neuen Produktvarianten mit teils stark abgesenktem Garantieniveau deklariert Allianz Leben für nächstes Jahr 3,5 Prozent Gesamtverzinsung.
Diesen Begriff darf man nicht auf die von Sparern eingezahlten Beiträge beziehen, sondern nur auf nach Provision und Gebühren übrig bleibenden Sparanteile, die von Konzern zu Konzern sehr unterschiedlich sein können. Das macht Lebenspolicen für Verbraucher auch so schwer durchschaubar. Zudem wirkt selbst die Zinserhöhung der Allianz angesichts jüngster Zinserhöhungen etwa von Zentralbanken nicht sehr attraktiv. „Unser Zinsschritt ist alles andere als selbstverständlich oder langweilig“, kontert Priebe. Zwar gebe es einzelne Konkurrenten, die wie die Bayerische Versicherungskammer, die für 2023 mit 0,75 Prozentpunkten deutlich stärker erhöhen als man selbst. Die kämen aber auch von einem tieferen Ausgangsniveau und würden auch 2023 nicht das Niveau der Allianz erreichen. Das stimmt. Andererseits gibt es auch Konkurrenten, die für 2023 bei ihrer Gesamtverzinsung bis zu vier Prozent erreichen und damit die Allianz schlagen.
Ob es in absehbarer Zeit mehr Versicherer gibt, die Zinsen für Lebenspolicen erhöhen, ist nach einer Empfehlung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) fraglich. Die dort organisierten Versicherungsmathematiker beraten den Bundesfinanzminister zum staatlichen Höchstrechnungszins. Das ist der Zins, den Anbieter von Lebenspolicen über oft jahrzehntelange Laufzeiten ihrer Produkte pro Jahr maximal garantieren dürfen. Er liegt seit Anfang 2022 bei historisch niedrigen 0,25 Prozent, ist auch für 2023 darauf festgelegt und wird es wohl ebenso 2024 bleiben. Das raten die Aktuare, denen der Finanzminister in der Regel folgt.
„Die Zinssituation am Kapitalmarkt muss sich erst dauerhaft stabilisieren, bevor wir einen höheren Rechnungszins empfehlen“, erklärt DAV-Chef Herbert Schneidemann. Die Zinstrukturen seien derzeit invers, was heißt, dass kurzfristig zwar mit steigenden Zinsen gerechnet wird, aber nicht langfristig.
Für Halter von Lebenspolicen heißt das nichts Gutes. Denn hohe Inflation frisst ihre Werthaltigkeit verstärkt auf. Größer sind die Renditechancen bei garantiereduzierten Produkten, bei denen zum Beispiel nur noch zugesagt wird, dass am Ende 80 Prozent einmal eingezahlter Beiträge ausgeschüttet werden. Es gibt auch Varianten, wo nur noch ein Zehntel der Beitragssumme garantiert wird.
Die Allianz verkauft derartige Formen von Lebenspolicen seit 2013. „Das durchschnittliche Garantieniveau im Neugeschäft liegt bei uns bei unter 70 Prozent“, verrät Priebe. Kunden würden diese einerseits riskantere andererseits potenziell chancenreicheren Varianten nachfragen, weil bei klassischen Policen nur noch marginaler Zugewinn garantiert ist. Jeder zweite Vorsorgesparer, der einen neuen Vertrag abschließt, greife derzeit zu kapitalmarktnahen Produkten, sagt die Allianz.