Sielenbach – Eigentlich erwartet man in Sielenbach keinen Wirtschaftskrimi: Die überschaubaren 1800 Einwohner der schwäbischen Gemeinde haben auch einen überschaubaren Haushalt. Und doch fühlen sich die Sielenbacher um eine sechsstellige Summe gebracht – und klagen eine Entscheidung an, die gut 900 bayerische Gemeinden viele Millionen kosten dürfte.
„Im März 2021 haben wir im Gemeinderat beschlossen, wieder an der Strombündelausschreibung, die der Bayerische Gemeindetag koordiniert, teilzunehmen“, erklärt Bürgermeister Heinz Geiling. Die Kommune im Landkreis Aichach-Friedberg hatte in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit der Strategie gemacht: „Indem 1500 Gemeinden gemeinsam einkaufen, besteht der Ansatz, rabattiert einzukaufen“. Außerdem falle der bürokratische Aufwand für den Einzelnen weg. So sollte jetzt auch der Strom für die Jahre 2023 bis 2025 beschafft werden. Den braucht die Gemeinde etwa für Straßenbeleuchtung, Pumpstationen für Abwasser und den örtlichen Kindergarten. Wollte man Ende März den Strom für Januar 2023 kaufen, hätte dieser noch 5,6 Cent pro Kilowattstunde gekostet. „Aus uns nicht erklärbaren Gründen hat sich die Ausschreibung bis August 2022 verzögert“, so Bürgermeister Geiling. „Und dann hat man in einer Torschlusspanik im September 2022 eingekauft, zum schlechtesten Zeitpunkt überhaupt“, sagt Geiling. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten die Börsenpreise für Strom hysterische Spitzen von knapp 50 Cent erreicht. „Hätte man uns noch mal gefragt, hätten wir dem nicht zugestimmt“, kritisiert Geiling. Doch die Gelegenheit gab es nicht: „Wir hatten dem Bayerischen Gemeindetag im März 2021 ein Mandat erteilt, das einfach ausgeführt wurde, obwohl sich die Preise zum Kaufzeitpunkt vervielfacht hatten.“
Geiling hätte lieber gar keinen Strom bekommen: „Für zwei Fünftel der teilnehmenden Kommunen gab es gar keine Zuschläge. Die müssen sich jetzt selbst kümmern. Aber wenigstens können sie deutlich günstiger einkaufen.“
Der Schock im kleinen Sielenbach ist groß: „2021 haben wir 46 000 Euro für Strom bezahlt. 2023 werden es 188 000 Euro sein.“ Wie hoch der Schaden tatsächlich ist, hängt vom Zeitpunkt ab, an dem man lieber gekauft hätte.
Beim Bayerischen Gemeindetag ist man auch nicht glücklich über das Ergebnis: „Die Bündeleinkäufe sind eigentlich ein großer Erfolg, unser Aushängeschild“, erklärt Direktor Stefan Graf. Bereits seit über zehn Jahren gibt es das Modell: „Es gab aufgrund des Wettbewerbs günstige Preise und man teilte sich die Entgelte.“ Graf selbst hätte gern zu einem günstigeren Zeitpunkt mit den Auktionen begonnen, aber: „Für die Ausschreibung muss jede Abnahmestelle ihren genauen Stromverbrauch angeben. Leider haben sich die letzten erst im April 2022 gemeldet – darauf hatten wir keinen Einfluss.“
Weshalb die Teilnehmer trotz gestiegener Preise nicht noch einmal gefragt wurden? „Die Kommunen haben uns ein Mandat für die Beschaffung erteilt – es wäre ja nicht realistisch gewesen, alle 1500 noch einmal zu befragen. Aber wir haben die Entscheidung mit den Bezirksvorsitzenden getroffen, die die Kommunen vertreten haben.“ Denn es herrschte Zeitdruck: „Die alten Verträge laufen unweigerlich zum 31. Dezember aus – und viele Körperschaften haben teilweise keinen Anspruch auf die Grundversorgung. Wir mussten also handeln.“ So gab der Gemeindetag die Ausschreibung heraus: „Mitte Mai haben wir die Beschaffung im europäischen Amtsblatt ausgeschrieben. Damit war es bindend.“
Damit begann ein aufwendiger Vorgang: „Es ist immer ein zweistufiges Prozedere: Die Anbieter geben Angebote ab und können sie in einer Auktion mehrfach nach unten korrigieren. Das hat in der Vergangenheit für günstige Preise gesorgt“, erklärt Stefan Graf.
Die Aufgabe des Gemeinde-tages: „Wir mussten dann zwei Dinge tun: Prüfen, ob die Anbieter sicher und liquide sind, und ob die Angebote die Börsenpreise widerspiegeln oder deutlich darüber liegen.“ Denn viele Angebote waren zu schlecht: „Zwei Fünftel haben keinen Zuschlag bekommen, weil die Gebote weit über den Marktpreisen lagen.“
Das Gros bekam den Zuschlag, nachdem Ende August Rekordpreise erreicht wurden: „Die meisten Verträge haben wir im September geschlossen, zu durchschnittlich 46 Cent pro Kilowattstunde über drei Jahre.“
Aktuell liegt der Strompreis bei rund 37 Cent netto – warum hat man nicht abgewartet? „Zu diesem Zeitpunkt konnte niemand sagen, wie die Preise sich entwickeln. Sie hätten genauso gut steigen können“, erklärt Stefan Graf. Denn der Gaspreis – maßgeblich für die Stromkosten – hängt unter anderem daran, wie streng der Winter wird. Unter anderem wegen guter Wetterprognosen waren die Preise seit Oktober stark gefallen.
Ein Trost für die Gemeinden, aber nicht für den Steuerzahler: „Wir haben sehr dafür gekämpft, dass die Kommunen in die Strompreisbremse aufgenommen werden. Da die Verträge für das Jahr 2023 am teuersten waren, werden die Kommunen stark entlastet“, so Graf.
Während man in der Gemeinde Sielenbach optimistisch ist, mit den Mehrkosten zurechtzukommen, gefährden die neuen Strompreise in Miesbach den Haushalt: Mit Umlagen, Zuschlägen und Steuern komme die Stadt auf insgesamt „gut 60 Cent pro Kilowattstunde“, erklärt Bürgermeister Gerhard Braunmiller (CSU). Damit würden sich Kosten – trotz Strompreisbremse – um den Faktor 2,5 vervielfachen. Deshalb sei fraglich, „inwieweit wir einen genehmigungsfähigen Verwaltungshaushalt bekommen“, sagt Braunmiller. Denn die Stromkosten müssen komplett im Verwaltungshaushalt eingepreist werden, dessen Überschuss wiederum eine ausreichende Zuführung zum Vermögenshaushalt gewährleisten muss.
Mehr Glück hatte die Gemeinde Bruck (Landkreis Ebersberg): Die wollte 2021 nicht mehr beim Bündeleinkauf mitmachen und stattdessen lieber den lokalen Versorger Eberwerk unterstützen. Doch auch hier zogen die Preise gewaltig an, auf ganze 69 Cent – und die Gemeinde Bruck wechselt zu Eon in die Grundversorgung, um Bedenkzeit zu gewinnen.