„Wir könnten zehntausende Häuser bauen“

von Redaktion

München – Am bayerischen Immobilienmarkt geschieht derzeit Ungewöhnliches: Umsätze sacken ab, Projekte werden verschoben. Die Inflation und die Unsicherheit angesichts des Ukraine-Krieges haben deutliche Spuren hinterlassen. Was bedeutet das für Kaufwillige? Bauherren? Kapitalanleger? Eigenheimbesitzer? Wie geht es weiter am Immobilienmarkt? Darüber sprachen wir mit einer ganzen Reihe von Experten. Heute: Der Kommunalpolitiker Uwe Brandl ist Bürgermeister der Kleinstadt Abensberg im niederbayerischen Landkreis Kelheim. Als Präsident des Bayerischen Gemeindetages vertritt der CSU-Politiker die Interessen der über 2000 Städte, Märkte und Gemeinden im Freistaat. Ab 1. Januar übernimmt Brandl die Präsidentschaft im Deutschen Städte- und Gemeindebund.

Wie hat sich der Immobilienmarkt zuletzt in Ihrer Heimatstadt Abensberg entwickelt?

Die Situation ist extrem angespannt. Wir befinden uns im Dreieck Landshut, Ingolstadt, Regensburg, diese Städte sind aber nur noch begrenzt wachstumsfähig. Wenn dort die Preise exponentiell in die Höhe schießen, spüren wir in Abensberg den Zuzugsdruck. Bei uns ist Grund und Boden noch vergleichsweise günstig, obwohl die Preise auch hier massiv gestiegen sind.

Wie stark?

2016 lagen die Grundstückspreise inklusive Erschließungskosten noch bei 130 Euro pro Quadratmeter, jetzt sind wir bei 480 Euro. Bei Eigentumswohnungen sind die Preise von 2800 Euro pro Quadratmeter auf jetzt 5200 Euro gestiegen. Das ist ein sehr ungesundes Wachstum, und das macht mir Sorgen.

Wie können Sie als Gemeinde gegensteuern?

Wir befinden uns in einem Konflikt mit Natur-, Umwelt- und Landschaftsschutz. Die Vorgaben für weniger Bodenverbrauch machen es uns nicht leichter, neue Baugebiete auszuweisen. Also bleibt uns noch die Nachverdichtung.

Das dürfte aber nicht jedem gefallen.

In Abensberg gibt es 1000 Quadratmeter große Grundstücke, auf denen steht ein 160 Quadratmeter großes Gebäude. Möchte der Grundstückseigentümer auf dem Grundstück ein zweites Gebäude errichten, sind die Nachbarn nicht begeistert. Das führt oft zu sperrigen Verhandlungen, und auch die Landratsämter stehen uns da nicht immer gerade hilfreich zur Seite.

Warum?

Im Außenbereich einer Gemeinde besteht grundsätzlich Bauverbot. Jetzt kann es aber folgenden Fall geben: Wenn vier Grundstücke mit je 1000 Quadratmetern und jeweils einem Gebäude im Innenbereich einer Kommune nebeneinander liegen, kann die Grünfläche insgesamt bei 3000 Quadratmetern liegen. Manche Landratsämter neigen dann dazu, diese Grünfläche als „unbeplanten Außenbereich im Innenbereich“ zu deklarieren.

Das heißt?

Das heißt, das in diesem Bereich grundsätzlich Bauverbot herrscht – obwohl wir uns wohlgemerkt im Innenbereich einer Kommune befinden! Die Folge ist, dass wir dann als Gemeinde einen Bebauungsplan aufstellen müssen, um überhaupt Baurecht zu schaffen.

Die Landratsämter blockieren also die Nachverdichtung?

Zumindest führt ein solches Vorgehen zu einem erheblichen Zeitverzug und zusätzlichen Kosten. Wenn in dem Beispiel einer der vier Grundstückseigentümer bauen will, muss er alle drei Nachbarn überzeugen, ein Bauleitplanverfahren über sich ergehen zu lassen. Wenn einer der drei das nicht möchte, wird es schwer, das Verfahren schnell und rechtssicher durchzuführen.

Also bleibt nur noch die Ausweisung neuer Baugebiete?

Hier haben wir eine Kollisionslage mit der Landwirtschaft, den Grundeigentümern und dem Flächensparen. Sind Landwirte die Flächeneigentümer – in der Regel ist das so –, geben sie die Flächen meist nur gegen Ausgleichsflächen her. Das ist verständlich, die Landwirte brauchen auch jeden Quadratmeter. Wir sind ja froh, dass wir eine Landwirtschaft haben, die gut funktioniert. Ein Beispiel: Ich habe in Abensberg gerade ein Baugebiet in der Entwicklung, da hatten wir eine Vorlaufzeit von fast zehn Jahren. Erst dann sind wir an die Grundstücke gekommen.

Könnte der Freistaat den Gemeinden mehr Handlungsspielraum geben?

Ja. Wir brauchen dringend eine Mobilmachung von Innenbereichsgrundstücken, die zu Spekulationszwecken gehalten werden.

Was meinen Sie damit?

In fast jeder Kommune gibt es zwischen den Häusern freie Parzellen, die sofort bebaut werden könnten. Wir machen jetzt die Erfahrung, dass diese Grundstücke gehalten werden, weil die Eigentümer auf noch höhere Preise hoffen.

Wie ließe sich das verhindern?

Der Freistaat Bayern müsste die Grundsteuer C wieder einführen. Dann würde sich jeder Grundstückseigentümer überlegen, ob es nicht besser wäre, das Grundstück zu verkaufen, anstatt Jahr für Jahr eine Steuer auf den unbebauten Grund zu zahlen. Aufgrund einer Bundestagsinitiative ist die Einführung dieser Steuer auch möglich, die Bundesländer können aber entscheiden, ob sie das wollen oder nicht.

Und Bayern sperrt sich?

Ja, auf Druck von Herrn Aiwanger, der hier Lobbyarbeit für die Landwirtschaft und die Eigentümerinteressensgemeinschaften betrieben hat. Sein Argument ist, dass es hier um eine Bevorratung von Grundstücken für Kinder und Enkelkindern geht. Für meine Heimatstadt Abensberg kann ich aber sagen: Wir haben ein Innenbereichsgrundstück mit 1,2 Hektar für nur einen einzigen Nachkommen. Niemand kann mir weismachen, dass dieser Nachkomme diese riesige Fläche für sein Einfamilienhaus braucht.

Sind das nicht Einzelfälle? Ist das Nachverdichtungspotenzial wirklich so groß?

Das Potenzial ist riesig. Wir haben in Abensberg 15 000 Einwohner und 430 erschlossene Grundstücke. Dort könnten morgen die Bagger rollen.

Liegen Sie mit diesen Zahlen im Durchschnitt?

Ja. Wir könnten in Bayern innerhalb kürzester Zeit zehntausende Gebäude errichten, es müssten sich nur die Regularien ändern. Die Grundsteuer C ist nur eine von vielen Möglichkeiten, wie der Gesetzgeber mehr Wohnraum schaffen könnte.

Sind manchmal nicht auch die Gemeinden selbst ein Hindernis? Statt nur auf Einfamilienhäuser zu setzen, könnten Kommunen bei der Bauweise flexibler werden.

Das ist richtig, dazu fordern wir auch auf. Wir müssen weg von der typischen Einfamilienhausstruktur und hin zu kleineren Grundstücken. Wir entwickeln in Abensberg gerade ein Baugebiet für modulare Tiny-Häuser.

Tiny-Häuser in Abensberg?

Nicht diese kleinen Minihäuser auf Wohnwägen. Was wir meinen, sind vergleichsweise kleine Häuser, die sich Familien mit niedrigem Einkommen leisten können. Wir führen sie nur unter dem Überbegriff Tiny-Häuser.

Und was an dieser Bauweise ist modular?

Eine Familie kann in diesem Baugebiet erst einmal klein bauen, und wenn sie mehr Platz benötigt, kann sie einfach weitere Module anbauen. Die Gemeinden müssen sich hier bewegen und Angebote schaffen. Genauso müssen sie Themen wie Mehrgenerationenwohnen, Mehrfamilienwohnen viel stärker in den Fokus nehmen.

Als Präsident des bayerischen Gemeindetages kennen Sie die Verantwortlichen in vielen Kommunen. Haben Sie den Eindruck, Bürgermeister und Gemeinderäte haben die Zeichen der Zeit erkannt?

Mehr Wohnraum auf weniger Fläche ist das Gebot der Stunde. Es gibt Kommunen, die sind da sehr offensiv und modern unterwegs. Auch die meisten Ingenieurbüros und Architekten bewegen sich jetzt in diese Richtung. Aber natürlich gibt es auch Gemeinden, wo die Botschaft noch nicht angekommen ist.

Die Bundesregierung hält indes an ihrem Ziel fest, in Zukunft 400 000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen. Halten Sie das für möglich?

Ich bin mit jeder Art von Ankündigungspolitik unzufrieden, egal ob Bund oder Freistaat. Wer permanent Hürden aufbaut bei der Schaffung von neuem Wohnraum, der muss sich die Frage gefallen lassen, ob die 400 000 Wohnungen ein ernst gemeintes Ziel sind oder nur eine Placebo-Ankündigung. Menschen werden überhaupt nicht in die Lage versetzt, bei den aktuell hohen Preisen Wohneigentum zu erwerben. Das werfe ich nicht nur der aktuellen Bundesregierung vor, der Vorwurf gilt auch für die Vorgängerregierung.

Am 1. Januar übernehmen Sie im Deutschen Städte- und Gemeindebund das Amt des Präsidenten. Welche Rolle wird das Thema Bauen und Wohnen spielen?

Neben dem Energiethema wird Wohnen und Bauen eines der wichtigsten werden. Bauen und Kaufen muss für die große Mehrheit der Bevölkerung auch aus Gründen der Altersvorsorge wieder bezahlbar werden.

Interview: Sebastian Hölzle

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