Viele Experten erwarten nur milde Rezession

von Redaktion

VON GERD HÜBNER

München – Der Krieg in der Ukraine hat alle Berechnungen über den Haufen geworfen: So hatte zum Beispiel der Internationale Währungsfonds (IWF) nach der Corona-Krise für 2022 ein weltweites Wirtschaftswachstum von 4,9 Prozent prognostiziert. Tatsächlich dürften es im zu Ende gehenden Jahr nur rund drei Prozent gewesen sein.

Noch weiter lagen Erwartung und Wirklichkeit bei der Inflation auseinander. Die meisten Volkswirte gingen für 2022 von Teuerungsraten im Bereich von zwei bis drei Prozent aus. Unter anderem ausgelöst durch die Lieferkettenunterbrechungen, eine Folge der Corona-Pandemie, und vor allem durch die kriegsbedingt gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise, beschleunigte sich der Preisanstieg weltweit jedoch auf dramatische Art und Weise: Hierzulande erreichte die Inflationsrate im Oktober 2022 rund 10,4 Prozent, in der Euro-Zone war es im gleichen Monat sogar 10,6 Prozent.

Zinsen

Eine entscheidende Konsequenz der rasant gestiegenen Inflation aber war, dass die Notenbanken gegensteuern mussten. Da es deren oberste Aufgabe ist, für Preisstabilität zu sorgen, mussten sie eine sehr aggressive Zinswende einleiten. Die US-Notenbank Fed erhöhte den Leitzins in 2022 von null bis 0,5 Prozent auf vier bis 4,5 Prozent – eine der schnellsten Zinserhöhungsphasen, die es je gab. Und auch die Europäische Zentralbank musste an der Zinsschraube drehen: Lag der Leitzins hier Anfang vergangenen Jahres noch bei null Prozent, so beträgt er aktuell 2,5 Prozent.

Das trieb beispielsweise auch die Bauzinsen nach oben. Der Zins für ein Darlehen mit zehnjähriger Bindung kletterte von rund einem Prozent zu Jahresbeginn in der Spitze bis auf fast vier Prozent. Höhere Zinsen aber drosseln die Nachfrage – und zwar überall. Beim Konsum, bei den Investitionen oder eben im Immobilienbereich. Weitere Zinserhöhungen sowohl in den USA als auch in Europa sind 2023 zu erwarten.

Wachstum

Die meisten Volkswirte rechnen aufgrund der sehr aggressiven Zinserhöhungen deshalb jetzt auch mit einer Rezession. Wobei die Ansichten darüber, wie stark sie in Europa oder den USA ausfallen wird, stark auseinandergehen. Viele Volkswirte gehen inzwischen von einer vergleichsweise milden Rezession im kommenden Jahr aus. Sie erwarten im Gesamtjahr 2023 einen BIP-Rückgang um weniger als ein Prozent. Zum Vergleich: Im Corona-Krisenjahr 2020 war die Wirtschaftsleistung in Europas größter Volkswirtschaft um mehr als vier Prozent geschrumpft. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) erwartet für 2023 sogar ein leichtes Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent – auch dank staatlicher Energiepreisbremsen.

Die Volkswirte des Münchener ifo Instituts rechnen damit, dass das Bruttoinlandsprodukt hierzulande im Winterhalbjahr, also zwischen Oktober 2022 und März 2023, schrumpfen wird. Damit wäre die deutsche Wirtschaft in einer Rezession. Erst ab dem Frühjahr soll es dann wieder zu einer Belebung kommen. Insgesamt gehen die ifo-Experten davon aus, dass die Wirtschaft hierzulande nach einem Wachstum von 1,8 Prozent in 2022 im kommenden Jahr per Saldo um 0,1 Prozent schrumpfen wird. Eine etwas bessere Entwicklung ist für die Euro-Zone insgesamt zu erwarten. Laut den Volkswirten der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe soll die Wirtschaft im Euro-Raum nach einem Plus von 2,2 Prozent im laufenden Jahr in 2023 dann zumindest um 0,3 Prozent zulegen. Etwas stärker, nämlich mit 0,5 Prozent, dürfte im kommenden Jahr nach Schätzung der Ökonomen von M.M. Warburg die US-Wirtschaft laufen. Soweit es die globale Entwicklung betrifft, erwartet der IWF im kommenden Jahr ein Wachstum von 2,7 Prozent. Das klingt zwar nach viel, wäre aber deutlich unter der historischen Wachstumsrate, die im langjährigen Durchschnitt bei etwa 3,6 Prozent liegt.

Inflation

Inwieweit diese Prognosen zutreffen, dafür ist die weitere Entwicklung der Inflationsrate ein entscheidender Faktor. Denn steigen die Preise im kommenden Jahr tatsächlich nicht mehr im gleichen Maße wie in 2022, dann können die Notenbanken eine gemäßigtere Politik verfolgen und unter Umständen die Zinsen sogar wieder senken. Das würde, auch wenn geldpolitische Maßnahmen immer erst mit einer zeitlichen Verzögerung wirken, die Wirtschaft anschieben.

Bleibt die Inflation dagegen hoch oder klettert sogar weiter, dann muss mit weiteren starken Zinserhöhungen gerechnet werden, die dann die Wirtschaft noch weiter abbremsen. Die gute Nachricht: So gut wie alle Experten gehen derzeit davon aus, dass wir den Höhepunkt der Inflationsentwicklung vorerst hinter uns haben. So erwartet das ifo Institut im Durchschnitt für Deutschland eine Inflationsrate von 6,8 Prozent. Zum Vergleich: Im November 2022 betrug sie noch zehn Prozent. Im Euro-Raum, so die Prognose der Experten von Hauck Aufhäuser Lampe, soll die Teuerung im kommenden Jahr 5,9 Prozent betragen und in den USA schließlich 4,2 Prozent. Damit würde es in der Tat zu einer gewissen Erleichterung für die Wirtschaft, für die Konsumenten und nicht zuletzt auch für Kapitalmärkte kommen. Allerdings sind dies eben alles nur Prognosen. So sind auch im kommenden Jahr unvorhergesehene Ereignisse nicht auszuschließen, die diese zunichtemachen. Insbesondere geopolitische Ereignisse, wie der weitere Verlauf des Kriegs in der Ukraine, bleiben eine große Unbekannte.

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