Unterhaching/Germering – Geothermie ist ein Nischenphänomen in Bayern: Nur ein halbes Prozent der Wärmeleistung wird durch heißes Thermalwasser erbracht. Dabei hat der Großraum München eine der größten Quellen in Deutschland.
„Wir sitzen hier auf der sogenannten bayerischen Molasse. Das ist eine Kalksteinschicht, die rund 30 Prozent Wasser beinhaltet“, erklärt Wolfgang Geisinger, Geschäftsführer der Geothermie Unterhaching. „Die Kalkplatte wurde durch den Auffaltungsprozess der Alpen Richtung Süden immer weiter nach unten gedrückt. Was in der schwäbischen Alb an der Oberfläche liegt, befindet sich bei uns in Unterhaching bei rund 3000 Metern Tiefe.“
Dort hat das Wasser 122 Grad. Gefördert wird es in einem unscheinbaren Gebäude am Rande des Gewerbegebiets, zwischen einem Campingausrüster und einem Farbenfachgeschäft. 55 Kilometer Leitung binden hier etwa die halbe Gemeinde an. Dass das Kraftwerk eine ganze Kleinstadt versorgen könnte, sieht man ihm von außen nicht an: „Über unsere Förderbohrung pumpen wir pro Sekunde bis zu 140 Liter nach oben und schicken sie in unseren Wärmetauscher, wo die Energie an das Fernwärmenetz übertragen wird“, erklärt Geisinger. Anschließend wird es über eine zweite Bohrung rund 3000 Meter entfernt wieder in die Erde geleitet. Das Thermalwasser kommt also nie mit dem Fernwärmewasser in direkten Kontakt.
Die Anlage hat einen Wirkungsgrad von 90 Prozent, das Heizwasser kommt zwischen 90 und 110 Grad heiß bei den 13 000 Kunden an. „Diese relativ hohen Temperaturen sind wichtig, weil wir hier viel wenig gedämmte Bausubstanz aus den 60er- und 70er-Jahren haben. Die würden Sie mit einer oberflächennahen Wärmepumpe nicht warm bekommen“, erklärt Geisinger.
Denn normale Wärmepumpen schaffen wirtschaftlich oft nur 40 Grad. Durch die heiße Quelle ist die Geothermie deutlich effizienter: „Eine normale Wärmepumpe erzeugt aus einer Kilowattstunde Strom rund drei kWh Wärme. Wir schaffen den Faktor 1:30.“
Um die Pumpe zu betreiben, erzeugt ein Gaskraftwerk Strom. Für Notfälle und Wartungsarbeiten gibt es Ölkessel als Redundanzkraftwerk. Zum Vergleich, was die Geothermie leisten kann: „Wollten wir unsere Anlage ersetzen, müssten wir aktuell an einem kalten Wintertag 100 000 Liter Heizöl verbrennen“, so Geisinger.
Es drängt sich die Frage auf: Weshalb nutzen nicht mehr Kommunen die günstige und klimafreundliche Erdwärme? Es fehlt – ganz banal – am Geld.
Denn für die Privatwirtschaft sind die Renditen zu gering: „Ein Liter Öl enthält hundertmal mehr Energie, als ein Liter heißes Thermalwasser. Das heißt, Sie können neunmal erfolglos nach Öl bohren, solange es beim zehnten Mal klappt. Beim Thermalwasser darf nichts schiefgehen“, erklärt Geisinger. „Dazu kommt, dass man mit Rohöl global handeln kann. Das geht mit heißem Thermalwasser nicht.“
Und Gemeinden, die langfristig investieren wollen, haben die Projekte meist nicht im Kreuz: „Viele Kommunen sind bereits mit niedrigen zweistelligen Millionenbeträgen überfordert“´, erklärt Geothermiechef Geisinger. In Unterhaching sei das Projekt nur wegen der dichten Besiedelung machbar gewesen.
Die Finanzierung krankte für die Kommunen bisher an zwei Stellen: Wegen des billigen Gases sind Gaskraftwerke, die neben Strom auch Wärme erzeugen, mit 40 Prozent gefördert worden. „Das Ergebnis ist, dass die Abwärme der Kraftwerke quasi kostenfrei als Fernwärme vermarktet werden kann.“ Geothermie wurde indes mit spärlichen zehn Prozent gefördert, keine Chance, gegen Gaskraftwerke anzutreten.
Seit Kurzem herrscht hier jedoch Waffengleichheit: „Wir werden wie Kraft-Wärme-Kopplung mit 40 Prozent gefördert. Das hilft uns, jedem Unterhachinger einen Fernwärmeanschluss anzubieten. Das wäre ohne die Förderung nicht möglich gewesen.“
Doch die restlichen 60 Prozent Finanzierung sind weiterhin eine große Hürde: „Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat uns die Grundwirtschaftlichkeit geliefert. Jetzt ist Hubert Aiwanger in Bayern dran. Es braucht einen haftungsfreien Investitionstopf, aus dem sie für die Geothermie schöpfen können. Das kann man sowohl in Berlin als auch in Bayern aufsetzen.“ Denn keine Kommune könne sich eine fehlgeschlagene Bohrung leisten.
Außerdem brauche es Tempo bei den Prozessen: „Wir brauchen schnellere Genehmigungsfristen: Bisher sind es sieben bis acht Jahre.“ Und das muss nicht sein, ist er überzeugt: „Thermalwasser wird wie Trinkwasser behandelt, obwohl es auch aus Behördensicht nie jemand trinken wird. Aber in Bayern wird eisern an diesem Grundsatz festgehalten und das verlangsamt die Genehmigungsprozesse entsprechend.“
Mit diesen Weichenstellungen könnte die Wärmewende in wenigen Jahren gelingen: „Die Stadtwerke München, Pullach, Grünwald und Unterhaching haben über das Bayerische Wirtschaftsministerium bei der TUM eine Studie initiiert, die besagt, dass man den Großraum München komplett mit Geothermie versorgen kann.“
Wolfgang Geisingers Vision ist dabei ein Verteilnetz, das zwischen den verschiedenen Kraftwerken entstehen soll: „Es ist realistisch, dass wir 2040 ohne fossile Redundanzkraftwerke auskommen und uns nur noch aus dem Netz versorgen.“ Der erste Schritt ist bereits Realität – in Form einer Leitung nach Grünwald: „Wenn wir unsere Anlagen warten oder eben zu Spitzenlastzeiten, können wir Wärme aus Grünwald beziehen – und umgekehrt. So müssen unsere Ölkessel deutlich seltener laufen.“
Ein Konzept, das auch mit kälterem Wasser funktioniert: „Nördlich von München ist das Thermalwasser etwas kälter, eher 80 Grad heiß. Wenn man da eine elektrische Großwärmepumpe ergänzt, kann man das Fernwärme-Wasser auf die nötigen Vorlauftemperaturen anheben. Dass das funktioniert, beweist die Stadt Erding, die sogar mit circa 60 Grad heißem Thermalwasser gut auskommt.“
Westlich von München hofft derweil die Gemeinde Germering auf eine Thermalquelle, die das Kraftwerk im benachbarten Freiham speist: „Die Anlage der Stadtwerke München lässt unsere Hoffnung auf eine erfolgreiche Bohrung ein gutes Stück wachsen“, erklärt Roland Schmid, Leiter der Stadtwerke Germering. Das Projekt lag einige Jahre auf Eis, wurde angesichts der veränderten Bedingungen aber jetzt wieder aufgenommen: „Früher war mit Fernwärme kein zum Erdgas konkurrenzfähiger Tarif darstellbar“, erklärt Schmid. „Durch den steigenden CO2-Preis, das teure Erdgas und die Frage, ob wir in Zukunft noch welches bekommen, haben wir uns jetzt wieder intensiver mit dem Projekt beschäftigt.“
Doch die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam: „Wir sind gerade im Antragsverfahren für eine Machbarkeitsstudie. Die ist wahrscheinlich frühestens 2024 fertig.“ Die Ergebnisse sollen dann aber ausreichend konkret sein: „Dann wissen wir, ob wir genug Thermalwasser haben und welche Verteilung wirtschaftlich darstellbar ist“, so Schmid.
Denn trotz der verbesserten Förderung ginge es um viel Geld: „Wir als Stadtwerke wären damit überfordert – und vielleicht auch die Kommune Germering“. Denn Kommunen dürfen nur begrenzt Kredite aufnehmen – und die sind durch die Zinswende teurer. Eine Lösung, die Roland Schmid anvisiert, ist die Beteiligung privater Investoren. Doch die zu finden sei schwer: „Wir waren früher in Gesprächen, aber bisher sind alle abgesprungen, als sie gehört haben, dass wir hier keinen Strom produzieren können.“
Ein Problem, das tiefe Geothermie für viele Kommunen unerschwinglich macht. Ein Unding: Denn laut der Geothermie-Allianz Bayern könnte die Technologie 40 Prozent des bayerischen Wärmebedarfs decken – oberflächen-nahe Wärmepumpen noch nicht mitgerechnet.