Wiesbaden – Das Leben in Deutschland hat sich im vergangenen Jahr so stark verteuert wie nie seit Gründung der Bundesrepublik. Kräftig gestiegene Preise für Energie und Lebensmittel trieben die Jahresinflation 2022 auf 7,9 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag anhand einer ersten Schätzung mitteilte. Um einen ähnlich hohen Wert zu finden, muss man weit zurückblättern: 1951 wurde für die damalige Bundesrepublik eine Teuerungsrate von 7,6 Prozent verzeichnet. Im Dezember 2022 lag die Inflationsrate bei 8,6 Prozent, in Bayern waren es sogar 9,2 Prozent. Das laufende Jahr verspricht immerhin etwas Entspannung.
Was sind die wichtigsten Gründe für die gestiegene Inflation?
Vor allem die enorm gestiegenen Energiepreise nach Beginn des Ukraine-Kriegs heizten die Teuerung 2022 an. Gas und Heizöl kosteten teilweise mehr als das Doppelte als im jeweiligen Vorjahresmonat. Die Spritpreise erreichten zeitweise nie gekannte Höhen. Das Statistische Bundesamt beobachtete zunehmend auch Preisanstiege bei vielen anderen Gütern, besonders bei Nahrungsmitteln in Europas größter Volkswirtschaft.
Wie wirkten 9-Euro-Ticket und Tankrabatt?
Die befristeten Maßnahmen sorgten im Sommer für etwas Entlastung. Nach dem Auslaufen des günstigen Tickets für den öffentlichen Nahverkehr sowie der zeitweisen Steuersenkung auf Kraftstoffe zog die Inflationsrate jedoch wieder kräftig an. Die höchste Teuerungsrate des vergangenen Jahres wurde bislang im Oktober mit 10,4 Prozent gemessen.
Was unternimmt die Europäische Zentralbank gegen die hohe Inflation?
Die Euro-Währungshüter erhöhten im vergangenen Jahr erstmals seit elf Jahren wieder die Zinsen im gemeinsamen Währungsraum. Weitere Anhebungen werden 2023 erwartet. „Wir lassen nicht nach. Wir müssen eine längere Strecke gehen“, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde unlängst. Erhöhungen der Leitzinsen verteuern Kredite und bremsen die Nachfrage. Das hilft, die Inflationsrate zu senken. Zinserhöhungen hätten allerdings Wirkungsverzögerungen von 18 Monaten bis zu zwei Jahren, erläuterte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel.
Welche Folgen haben die Energiepreisbremsen?
Mit den Preisbremsen für Strom und Gas will der deutsche Staat die Folgen der gestiegenen Kosten abfedern. Nach Einschätzung von Volkswirten wird das den Anstieg der Inflation dämpfen. Der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW), Stefan Kooths, hält die Entlastung aber über massive Subventionen für teuer erkauft, die „die Energiekrise nur vordergründig mildern“.
Ist in diesem Jahr ein deutlicher Rückgang der Inflation zu erwarten?
Ökonomen machen trotz der Preisbremsen wenig Hoffnung auf einen deutlichen Rückgang. Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen im Schnitt mit Teuerungsraten zwischen gut fünf Prozent und mehr als sechs Prozent. Erst 2024 dürfte der Preisdruck deutlich nachlassen.
Wird die Inflation zusätzlich durch steigende Löhne angetrieben?
Bislang gibt es wenig Anzeichen dafür, dass stark steigende Löhne als Reaktion auf die Inflation die Preise zusätzlich anheizen. Nach vorläufigen Berechnungen des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung erhöhten sich die Tariflöhne 2022 zum Vorjahr um durchschnittlich 2,7 Prozent. Der Anstieg lag damit deutlich unter der Inflationsrate. In diesem Jahr können Beschäftigte dem WSI zufolge angesichts der jüngsten Abschlüsse auf insgesamt deutlich höhere Tarifzuwächse hoffen. Nach Einschätzung von Bundesbank-Präsident Nagel haben die Lohnabschlüsse allerdings die Balance zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gehalten.