Frankfurt – Immer mehr Geldhäuser werden Ziel von Razzien wegen Cum-Ex-Deals, erste Banker haben Haftstrafen erhalten: Die Ermittlungen im milliardenschweren Steuerskandal laufen intensiv. Vor der Justiz liegt viel Arbeit. Mit mehr als 1500 Beschuldigten, über 100 Verfahren und rund 130 verstrickten Banken ist der Komplex riesig. Bisher gab es erst gut eine Handvoll Urteile. Ein Überblick über den Cum-Ex-Skandal und was nun ansteht.
Der Trick
Bei Cum-Ex-Deals, die ihre Hochphase von 2006 bis 2011 hatten, nutzten Banken und andere Beteiligte ein Schlupfloch. Um den Dividendenstichtag schoben sie Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttungsanspruch in Paketen hin und her. Bescheinigungen über Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag wurden mehrfach ausgestellt – Finanzämter erstatteten Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren. „Kaum eine größere Bank in Deutschland ist nicht in den Cum-Ex-Skandal verstrickt“, sagt Gerhard Schick, Vorstand bei der Bürgerbewegung Finanzwende. Erst 2012 wurde diese illegale Praxis unterbunden. 2021 stellte der Bundesgerichtshof klar, dass Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung zu werten sind. Viel zu lange habe der Staat die Geschäfte toleriert, meinen Kritiker. „Wir sind im Jahr elf nach Unterbindung solcher Geschäfte, und trotz über 1500 Beschuldigter lassen sich die Angeklagten an wenigen Händen abzählen“, sagt Schick.
Der Schaden
Dem Fiskus entgingen nach Schätzungen mindestens zehn Milliarden Euro. Nimmt man verwandte Finanzmarktgeschäfte wie Cum-Cum und ähnliche Deals dazu, ergibt sich laut dem Mannheimer Betriebswirtschaftsprofessor Christoph Spengel ein Schaden von rund 36 Milliarden Euro. Nur einen Teil hat der Staat zurückgeholt: Man habe Kapitalertragsteuer inklusive Solidaritätszuschlag in Höhe von 3,1 Milliarden Euro zurückgefordert beziehungsweise entsprechende Erstattungsanträge abgelehnt, zeigt ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums von Oktober. „Gemessen am Steuerschaden sind die Erfolge klein“, sagt Spengel.
Die Razzien
Kriminalbeamte und Steuerfahnder durchsuchen immer wieder Banken. Die Staatsanwaltschaft Köln hat unlängst Razzien unter anderem bei den US-Banken Merrill Lynch, J.P. Morgan und Morgan Stanley, der britischen Barclays, der schwedischen SEB sowie der Dekabank in Frankfurt unternommen. Auch die Deutsche Bank geriet ins Visier.
Die Beschuldigten
Deutsche Gerichte haben erst einige wenige Urteile verhängt, darunter gegen zwei britische Aktienhändler sowie gegen frühere Beschäftigte der Hypovereinsbank und der Privatbank M.M. Warburg. Ex-Manager der insolventen Maple Bank, darunter der Deutschland-Chef, erhielten zudem hohe Haftstrafen und mussten insgesamt mehr als zehn Millionen Euro aus ihren Vermögen zurückzahlen. „Die bisherigen Urteile sind nur die Spitze des Eisberges“, sagt Spengel. Zwar sei die strafrechtliche Aufarbeitung auf einem guten Weg. „Doch die ganz großen Namen wie die Deutsche Bank sind noch nicht dabei.“ Dass es nur wenige Urteile gibt, liegt an der komplexen Materie, der späten Aufarbeitung und knappen Ressourcen.
Die Schlüsselfigur
Der einstige Finanzbeamte Hanno Berger gilt als wichtigster Kopf im Skandal. Als Steueranwalt hatte er die Aktiendeals bei Banken und Vermögenden als rechtlich sichere Steueroptimierung angepriesen, bei der Konstruktion der Geschäfte beraten und dabei Millionen verdient. Als die Justiz 2012 Bergers Kanzlei in Frankfurt durchsuchen ließ, setzte er sich in die Schweiz ab. Bis zuletzt wehrte sich Berger gegen seine Auslieferung nach Deutschland – erfolglos: Im Februar 2022 wurde er von der Schweizer Polizei überstellt. Im Dezember verurteilte das Landgericht Bonn ihn zu acht Jahren Haft.
Der Kanzler
Der Cum-Ex-Skandal hat die Politik erreicht. Es geht um den Vorwurf der Einflussnahme führender SPD-Politiker auf die steuerliche Behandlung der Hamburger Warburg Bank. Hintergrund sind Treffen des damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz mit den Mitinhabern der Bank, Christian Olearius und Max Warburg. 2016 hatte die Hamburger Finanzverwaltung entgegen ursprünglicher Planung auf eine Rückforderung von 47 Millionen Euro verzichtet – und nach damaligem Kenntnisstand in die Verjährung laufen lassen, wie Zeugen ausgesagt hatten. Ein Jahr später wurden weitere 43 Millionen Euro zu Unrecht erstatteter Kapitalertragssteuer erst auf Anweisung des Bundesfinanzministeriums zurückgefordert. „Die Politik hat bis 2016 möglicherweise Einfluss auf Finanzbehörden gehabt bei der steuerrechtlichen Behandlung von Cum-Ex“, kritisiert Spengel. Scholz hatte bei Vernehmungen im Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft jegliche Einflussnahme bestritten. Beim Inhalt der Gespräche mit Olearius und Warburg berief sich Scholz auf Erinnerungslücken. Die Staatsanwaltschaft Köln verzichtet auf Ermittlungen gegen Scholz und den Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Es liege kein Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Straftat vor, hieß es. Die Union will Scholz im Bundestag erneut zu Cum-Ex befragen.