Wirtschaft schlägt sich besser, als alle dachten

von Redaktion

VON BJÖRN HARTMANN

München/Berlin – Immer im Januar legt das Statistische Bundesamt Zahlen zur deutschen Wirtschaft des abgelaufenen Jahres vor. Meist ist der Termin eher für Freunde komplexer Rechnungen interessant. In diesem Jahr birgt er aber Überraschungen für fast alle: Deutschland, so zeigen die Zahlen, steht besser da, als die meisten Experten gedacht haben: Trotz Fachkräftemangel, Lieferengpässen, Inflation berichten die Statistiker von mehr Jobs, weniger Staatsschulden und vor allem Wachstum. So legte die Wirtschaftsleistung, gemessen als Bruttoinlandsprodukt, 2022 um 1,9 Prozent zu, wie Ruth Brand, Präsidentin des Statistischen Bundesamtes (Destatis), sagte. Die hohe Inflation ist dabei schon herausgerechnet. Das Besondere: Bis auf das Institut für Wirtschaftsforschung in Kiel (IFW) hat das niemand so vorhergesehen. Die Bundesregierung ging von 1,4 Prozent Wachstum aus, ebenso die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute. Die EU-Kommission erwartete 1,6 Prozent. Inzwischen hat sich die deutsche Wirtschaft auch vom tiefen Einbruch im Corona-Jahr 2021 erholt.

Konsum zieht an

Und das Ende der Pandemie-Maßnahmen ist denn auch einer der Wachstumstreiber gewesen: Die Bundesbürger hatten Nachholbedarf, wie Michael Kuhn vom Statistischen Bundesamt sagte. Die Menschen gingen in Konzerte und ins Theater. Auch die Gastronomie legte kräftig zu. „Die Leute haben hier wieder Geld ausgegeben“, sagte Kuhn.

Industrie legt zu

Auch die Industrie konnte noch leicht zulegen – obwohl vor allem Anfang 2022 Material, wie zum Beispiel Chips, fehlte, Fachpersonal schwer zu bekommen war und die Energiepreise im Zuge des Ukraine-Kriegs in bisher unbekannte Höhen schossen. Einzig die Baubranche hatte zu kämpfen, sie schrumpfte den vorläufigen Zahlen nach.

Neue Jobs

Insgesamt lief es in der deutschen Wirtschaft, was sich auch am Arbeitsmarkt zeigt: Im Schnitt waren 45,6 Millionen Menschen erwerbstätig – ein Rekordwert. Die Statistiker erwähnen Arbeitskräfte aus der Ukraine, mehr Frauen im Job und mehr Ältere, die länger arbeiten wollten. Neue Jobs gab es „fast ausschließlich im Dienstleistungssektor“, allerdings stellte auch die Industrie mehr ein. Und auch die Löhne stiegen den Statistikern zufolge im vergangenen Jahr. Viele bekamen nach Kurzarbeit wieder das normale Gehalt. Und die neu eingestellten Beschäftigten waren überwiegend normal sozialversicherungspflichtig und nicht geringfügig etwa als Minijobber beschäftigt, was ebenfalls mehr Geld bedeutete. Insgesamt stieg der Durchschnittslohn ohne staatliche Abgaben um 5,7 Prozent.

Inflation belastet

Allerdings konnten sich die Beschäftigten dafür nicht unbedingt mehr kaufen, denn die Inflation betrug im Schnitt 7,9 Prozent, die Preise stiegen also stärker als die Löhne. Die Realeinkommen der deutschen Haushalte und Unternehmen sind nach Schätzungen des Ifo-Instituts im vergangenen Jahr um 0,7 Prozent geschrumpft.

Staat nimmt mehr ein

Der Staat hat im vergangenen Jahr mehr eingenommen: Zum einen, weil Produkte wegen der Inflation mehr kosteten und entsprechend der Mehrwertsteueranteil stieg, zum anderen, weil sich die Wirtschaft erholte, mehr Menschen arbeiteten und zum Beispiel mehr Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge fällig wurden.

Ausgaben steigen

Auch die Ausgaben stiegen – vor allem wegen der finanziellen Hilfen für die Ukraine und den staatlichen Hilfen für angeschlagene Energieversorger wie Uniper und Sefe (vormals Gazprom Germania). Zudem kosteten vor allem die Pakete, die Haushalte und Unternehmen von steigenden Energiepreisen entlasten sollen.

Weniger gab der Staat für Kurzarbeit, Arbeitslose aus und Hilfen im Zusammenhang mit Corona aus. Insgesamt fehlten 101,6 Milliarden Euro, die durch neue Schulden gedeckt werden mussten – 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und 32,7 Milliarden Euro weniger als im Jahr 2021.

Vor allem der Bund machte neue Schulden, weil er die großen Hilfsprogramme auflegte. Länder, Gemeinden und die Sozialversicherungen schlossen im Plus.

Aussichten

Unklar ist noch, wie es 2023 mit der deutschen Wirtschaft weitergeht. Die Statistiker berechneten für das vierte Quartal noch auf sehr wackeliger Basis ein Wachstum von 0,0 Prozent. Ob es Anfang 2023 so weitergeht, ist unklar. Das Münchener Ifo-Institut erwartet einen schwachen Start. Die Bundesregierung ging noch im Herbst 2022 davon aus, dass die Wirtschaft im Gesamtjahr 2023 um 0,6 Prozent schrumpft. Der Bankenverband rechnet sogar mit einem Minus von einem Prozent. Nur das IfW in Kiel ist mit 0,3 Prozent Wachstum wieder optimistisch.

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