Lubmin – Viele entschlossene Mienen und ein großes Schiff – so sieht Deutschlands Ringen um mehr Unabhängigkeit bei der Gasversorgung aus. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Samstag in Lubmin ein schwimmendes Flüssigerdgas-Terminal offiziell in Betrieb genommen – nach dem Terminal im niedersächsischen Wilhelmshaven das zweite in Deutschland. „Es war ein gutes Gefühl“, sagte der Kanzler vor rund 80 Journalisten aus mehreren Ländern, nachdem er zusammen mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) symbolisch die Leitung aufgedreht hatte.
Flüssigerdgas (LNG) wird per Schiff aus verschiedenen Regionen der Welt geliefert, wieder in Gas umgewandelt und als Erdgas in das Gasnetz eingespeist. Es soll dazu beitragen, ausbleibende russische Gaslieferungen zu ersetzen. Wie in Wilhelmshaven nimmt in Lubmin ein Spezialschiff das LNG auf, wandelt es um und speist es ein. Diese Woche soll ein solches Spezialschiff auch in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein ankommen. Ein weiteres soll bis kommenden Winter in Stade sowie ein zusätzliches vor Lubmin betriebsbereit sein.
Die Spezialschiffe können schneller in Stellung gebracht werden als feste Anlagen. Sie können allerdings in Abhängigkeit von den Gegebenheiten vor Ort jeweils nur rund fünf Milliarden Kubikmeter pro Jahr ins Gasnetz einspeisen. Über die deutsch-russische Ostseepipeline Nord Stream 1 waren 2021 fast 60 Milliarden Kubikmeter gekommen. Nach früheren Angaben will Deutschland im Winter 2023/24 etwa ein Drittel des bisherigen Gasbedarfs über die schwimmenden LNG-Terminals decken. In Lubmin waren die ersten Anträge im vergangenen Sommer eingegangen, die Bauarbeiten im Hafen hatten im September begonnen.
Kritiker sprechen von zu hohem Tempo auch mit Verweis auf die derzeit gute Versorgungslage. Umweltverbände kritisieren ein aus ihrer Sicht übereiltes Genehmigungsverfahren. Gegen die Genehmigung für das Terminal in Wilhelmshaven hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bereits Widerspruch eingelegt, für Lubmin hat sie einen solchen angekündigt.
Umweltverbände monieren auch, dass Deutschland langfristig Überkapazitäten für Gasimporte schaffe und so den Ausstieg aus fossilen Energieträgern behindere. Die Eröffnung am Samstag in Lubmin war begleitet von Protesten. Die Polizei sprach von rund 280 Teilnehmern an zwei Orten.
Das Lubminer Terminal ist das nach Betreiberangaben bislang einzige komplett privat finanzierte Terminal in Deutschland. Das Unternehmen Deutsche Regas bezifferte die Kosten auf etwa 100 Millionen Euro, die aus Eigenkapital und von Investoren stammten. Anfang der Woche war im Rahmen eines Testbetriebs erstmals Gas ins Netz eingeleitet worden. VON CHRISTOPHER HIRSCH