München – Großer Streit um kleine Roller: Geht es nach dem Willen der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, wird die Stadtbevölkerung im April darüber abstimmen, ob tausende Elektroroller in Frankreichs Hauptstadt für immer von der Straße verschwinden. 15 000 der kleinen Tretroller mit Elektroantrieb sind in Paris unterwegs, verliehen werden sie von drei Anbietern. Die Bürgermeisterin sprach sich am Samstag für ein Verbot aus. Am Dienstag widersprach Frankreichs Verkehrsminister Clément Beaune, er sieht die Lösung in einer strengen Regulierung.
Streit um die Roller gibt es in fast allen europäischen Metropolen, allein in der bayerischen Landeshauptstadt München bieten nach Angaben des MVV mit Bird, Jawls, Lime, Tier und Voi gleich fünf Anbieter die elektrische Radelrutsch an. Was fehlt: Wissenschaftliche Daten zur Verkehrssicherheit.
Eine Einschätzung kommt jetzt aus der Versicherungswirtschaft: Siegfried Brockmann ist Leiter der Unfallforschung der Versicherer im Verband GDV. Er sagt: „Es zeichnet sich ab, dass der E-Scooter im Privatbesitz sehr sinnvoll ist.“ Und das nicht nur in den Großstädten: Er kenne Berichte von hohen Verkaufszahlen an Privatpersonen auch in ländlichen Gemeinden. „Gerade dann, wenn Bus und Bahn fehlen, kann der E-Scooter ein nützliches Verkehrsmittel sein.“
Die großen Leih-Flotten in den Städten sieht er dagegen kritisch. „Es kann nicht sein, dass die E-Scooter reine Touristenspaßmobile sind, hier müssen dringend Maßnahmen getroffen werden.“
Brockmann schlägt beispielsweise vor, dass die Geschwindigkeit der Roller in Fußgängerzonen anhand der GPS-Position automatisch gedrosselt wird. Auch Reaktionstests in der App des Verleihers seien sinnvoll, um möglichen Alkoholkonsum festzustellen. Bislang gebe es das nur vereinzelt.
Brockmanns Einschätzung basiert auf einer Analyse von Unfalldaten von Behörden und eigenen Auswertungen. Demnach kam es im Jahr 2020 zu 2155 „Unfällen mit Personenschaden“ unter Beteiligung von E-Scootern, ein Jahr später waren es mit 5535 mehr als doppelt so viel. „Da sich in der gleichen Zeit auch der Bestand an E-Scootern verdoppelt haben dürfte, ist das Risiko eines Unfalls nicht gestiegen.“ Selbst wenn man die Dunkelziffer einrechne, ändere sich an dieser Aussage nichts. Brockmann geht davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Unfälle viermal so hoch ist wie in der amtlichen Statistik ausgewiesen. Ein Argument für ein Verbot lasse sich aus diesen Zahlen aber nicht ableiten, denn ein Risiko bestehe auch beim Fahrradfahren.
Dass dennoch Handlungsbedarf besteht, begründet Brockmann mit den Unfallmustern bei E-Scootern: Verglichen mit Fahrradfahrern kollidieren E-Roller-Fahrer doppelt so häufig mit Fußgängern, zeigen die Daten. Ein Blick auf die Unfallursachen zeigt, warum es zu vielen Crashs mit Fußgängern kommt: Mit 18,5 Prozent ist die „falsche Straßennutzung“ die zweithäufigste Ursache von E-Scooter-Unfällen – die Rollerfahrer sind oft auf dem Gehweg unterwegs.
Häufigste Unfallursache ist mit 20 Prozent die „Verkehrsuntüchtigkeit“, in der Regel aufgrund von Alkohol. „Das ist eine klare Ansage an die Ordnungsbehörden, insbesondere die Polizei: Hier muss strenger kontrolliert werden“, fordert Brockmann. Dass für die Probleme hauptsächlich die Leih-Flotten verantwortlich sind, zeigt eine eigene Auswertung der Forscher: Demnach verhalten sich Vielfahrer verglichen mit Gelegenheitsnutzern deutlich regelkonformer.