Wunsiedel/München – Marco Krasser zeigt Verständnis. „Wenn ein Gesetz mit heißer Nadel gestrickt wird, können Fehler passieren“, räumt der Chef der Stadtwerke Wunsiedel ein. Die müsse man aber dann nachbessern, sagt er und meint das Gesetz zur Strompreisbremse. Das sorgt dafür, dass Bayerns größte Anlage zur Erzeugung von grünem Wasserstoff in Wunsiedel, die auch eine der größten bundesweit ist, ihren Betrieb eingestellt hat.
„Wir stehen im Moment still“, bedauert Philipp Matthes als Geschäftsführer der WunH2 GmbH. Das ist die örtliche Elektrolysefirma, die grünen Strom in Wasserstoff als Energieträger der Zukunft umwandeln soll, aber es nicht mehr kann, weil es die Strompreisbremse gibt.
Die Sache ist kompliziert. Matthes, Krasser und Siemens als Technologielieferant vor Ort erklären sie. Die in Wunsiedel schon in weiten Teilen vollzogene Energiewende ist mehr als nur grüne Wasserstoffproduktion. Der Vorzeigeort im Fichtelgebirge hat auch Windparks angesiedelt, die grünen Strom erzeugen. Die Elektrolyseanlage verwandelt den in grünen Wasserstoff, wozu sogenannte PPA-Stromlieferverträge zwischen WunH2 und den Windparks abgeschlossen werden.
Theoretisch. Denn an der Stelle schlägt die Strompreisbremse zu. Das Gesetz dazu unterstellt, dass Strom zu aktuell hohen Marktpreisen verkauft wird, was in Wunsiedel aber nicht der Fall wäre. Die örtlichen Windparks würden nämlich weit unter Strombörsenpreis verkaufen. Im Gesetz werden aber Überschusserlöse „unwiderleglich vermutet“, zitiert Siemens daraus und macht eine Beispielrechnung auf.
Ein Grünstromanbieter schließt einen PPA-Vertrag zu 130 Euro je Megawattstunde (MWh) ab. Am Markt werden aber gerade 300 Euro verlangt. Das Gesetz ordne dann dem Grünstromanbieter in einem weiteren Schritt einen anzulegenden Wert von 100 Euro je MWh zu. Der werde vom Marktpreis abgezogen, was auf dem Papier 200 Euro Übererlös pro MWh ergibt. Der wird zu 90 Prozent per Gesetz abgeschöpft – im Beispiel 180 Euro je MWh. Die müsste der Anbieter des Grünstroms abführen, der aber nur 130 Euro verlangt, was ein Verlustgeschäft ergäbe. Als Ausweg könnte der Windpark den Marktpreis verlangen, wenn WunH2 als Kunde per Strompreisbremse entsprechend entschädigt werden würde. Dem steht aber das Gesetz dazu entgegen.
Was im Paragrafen zur Entlastung geregelt ist, haben die Wunsiedeler in einem offenen Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) festgehalten. „Letztverbraucher, die Unternehmen sind, dürfen die Entlastung nach diesem Paragrafen nicht in Anspruch nehmen, wenn und solange der Schwerpunkt ihrer Geschäftstätigkeit in der Erzeugung, Umwandlung oder Verteilung von Energie liegt.“ Der Geschäftszweck von WunH2 liegt darin, Strom in Wasserstoff zu verwandeln. WunH2 könnte grünen Wasserstoff damit nur noch so teuer produzieren, dass ihn niemand mehr kauft.
Habecks Ministerium hat erkannt, dass die Strompreisbremse unerwünschte Nebenwirkungen birgt. In Wunsiedel könne man die Strompreisbremse zwar bis zu einer Entlastungshöhe von zwei Millionen Euro in Anspruch nehmen, erklären dortige Experten. Für Summen darüber greife aber in der Tat erwähnter Paragraf, weil das EU-rechtlich – wahrscheinlich – nicht anders gehe. „Die rechtsverbindliche Klärung … erfolgt durch Gerichte“, erklärt das Ministerium.
Matthes wirkt ohnmächtig. Zwei Millionen Euro Entlastung wären zwar schon hilfreich. Nötig sei aber eher das Doppelte. Und der angeratene Gang vor Gericht bringe erfahrungsgemäß zeitnah keine Entscheidung. „Wir können derzeit keine kurzfristig wirksamen PPA-Verträge mit Bestandsanlagen abschließen“, resümiert der WunH2-Chef und meint damit bereits existierende Windparks. Solche Verträge seien aber Grundlage für das eigene Geschäft.
Auf Eis liege jetzt eine geplante Verdoppelung der Produktionskapazität auf 2700 Tonnen pro Jahr. Offen sei nun auch eine für 2023 geplante Wasserstofftankstelle. Nicht nur Matthes fürchtet, dass es nicht nur seiner Wasserstoffproduktion so geht.
Das Strompreisbremsegesetz entziehe vielen wegweisenden Projekten zur Herstellung Erneuerbarer Energien die Grundlage, warnt Siemens. PPA-Verträge seien das entscheidende Instrument zur Finanzierung neuer Anlagen. Ohne sie würden Projekte verlangsamt und teils eingestellt.
In Habecks Ministerium kennt man nur den Fall Wunsiedel. Eine Sprecherin will aber nicht ausschließen, dass auch andere grüne Vorzeigeprojekte entsprechende Probleme haben oder noch bekommen. Man wisse das nicht, heißt es unbestimmt.
„Die Elektrolyse ist elementarer Bestandteil unseres Systems“, sagt Krasser zur grünen Energieversorgung für Wunsiedel und Umgebung. Alles würde nun mindestens verzögert. Im offenen Brief ist sogar von Insolvenzgefahr die Rede. Dieses Wort wollen Matthes und Krasser aktuell nicht in den Mund nehmen. Aber Planungssicherheit, zu welchen Stromkosten sie derzeit Wasserstoff produzieren können, gebe es nicht. Matthes und die grüne Wasserstoffzukunft warten jetzt auf ausreichend sinkende Marktpreise.