„Ein starker Euro ist gut für uns alle“

von Redaktion

INTERVIEW Aktien-Experte Marco Herrmann über die wieder erstarkte europäische Währung

Im Herbst stürzte der Euro auf ein Rekordtief von 0,95 US-Dollar, seitdem geht es wieder steil bergauf. Was bedeutet das für Anleger? Wir sprachen mit dem Aktien-Experten Marco Herrmann vom Münchner Vermögensverwalter Fiduka über die plötzliche Trendwende.

Warum befindet sich der Euro seit Herbst in einem Aufwärtstrend?

In den vergangenen Jahren war der Dollar immer stärker als der Euro. Das lag an den Zinsen. In den USA hatte die Notenbank schon vor der Corona-Pandemie damit begonnen, die Zinsen zu erhöhen. Auch jetzt sind die Zinsen in den USA deutlich höher: Die amerikanische Notenbank ist ja bereits wieder bei 4,5 Prozent, im Euroraum liegt der Leitzins bei 2,5 Prozent.

Höhere US-Zinsen treiben Anleger dazu, ihr Geld lukrativ in den USA anzulegen. Die Nachfrage nach dem Dollar steigt, was die Währung verteuert. Nach dieser Logik müsste bei der aktuellen Zinsdifferenz doch der Dollar steigen und nicht der Euro?

An den Finanzmärkten schaut man nicht in den Rückspiegel, hier wird die Zukunft gehandelt. Im Herbst, als der Euro rund einen Dollar kostete, sprach alles für einen starken Dollar: Die amerikanische Notenbank war in ihrer Zinspolitik schließlich sehr aggressiv vorgegangen. Und das war alles in den Kursen eingepreist, entsprechend schwach war der Euro.

Was brachte die Wende?

Die EZB hatte sich lange geweigert, mit höheren Zinsen gegen die Inflation vorzugehen. Im Herbst trafen sich die Notenbanker der großen Zentralbanken dann im amerikanischen Jackson Hole. Nach diesem Treffen wechselte die EZB die Richtung.

Die EZB hatte doch bereits im Sommer die Zinswende eingeleitet.

Das stimmt. Aber der Ton hat sich nach dem Treffen im Herbst massiv geändert. Seitdem ist klar: Von der EZB kommt deutlich mehr an Zinsschritten als gedacht. Außerdem sind die Amerikaner nun an einem Punkt angelangt, an dem vielleicht noch mit zwei kleinen Zinsschritten zu rechnen ist, aber im Großen und Ganzen war’s das. Diese Erwartungen sind längst eingepreist.

Daher hat der Euro zum Dollar aufgeholt?

Richtig. Hinzu kommt, dass der Winter bislang recht mild war und sich die Lage an den Energiemärkten entspannt hat. Das wird die Inflationsraten sehr wahrscheinlich reduzieren. Die krisenverursachten Kosten des Staates sinken, zudem ist das Risiko eines Blackouts wieder vom Tisch. Je weniger Risiken, desto stärker die Währung.

Heißt das, der Euro ist Richtung 1,20 Dollar unterwegs?

Das will ich nicht ausschließen, theoretisch ist das möglich. Ob der Euro wirklich so stark steigt, weiß ich aber nicht. Der Euro dürfte in den kommenden Monaten zumindest noch etwas fester und stabiler notieren. Der Gegentrend nach dem tiefen Fall ist definitiv da.

Wer jetzt einen USA- Urlaub buchen will, kann also darauf spekulieren, dass die Reise noch günstiger wird?

Der Flug wird wahrscheinlich nicht günstiger werden, das Hotel vielleicht schon, wenn man es in Dollar bezahlen kann. Für die Kosten während des Urlaubs wird es aber entscheidend sein, wo der Wechselkurs während der Urlaubsreise tatsächlich steht. Die Zeiten sind ja vorbei, in denen Währungen vor einer Reise umgetauscht wurden. Heute wird vor Ort im Reiseland mit Karte bezahlt.

Dämpft der erstarkte Euro in Europa aber die Inflation, weil Importe wieder billiger werden?

Ja. Das fängt an beim Urlaub, falls wir ihn außerhalb der Eurozone verbringen, und geht hin zu importierten Waren, die günstiger werden und die Inflation dämpfen. Insoweit ist der stärkere Euro eine gute Nachricht.

In einem exportstarken Land wie Deutschland ist mit einer starken Währung immer die Sorge vor einer schwächeren Konjunktur verbunden, wenn die Unternehmen im Ausland weniger verkaufen.

Kurzfristig kann das ein negativer Effekt sein. Das gilt auch für deutsche Firmen mit einem starken US-Geschäft, etwa die Telekom. Hier kann ein starker Euro den Gewinn schmälern. Aber selbst ein Euro-Kurs von 1,20 Dollar ist für die Industrie eigentlich kein Problem, hier muss sich niemand Sorgen machen. Insgesamt ist ein starker Euro immer besser als ein schwacher. Das ist gut für uns alle, weil der Wohlstand dank günstiger Importe und niedriger Inflation insgesamt steigt. Die Wirtschaft ist gestärkt, damit sind auch die Renditechancen für Anleger höher.

Gilt das auch für Anleger, die in US-Aktien investieren? Hier schmälert ein starker Euro doch die Renditeaussichten.

Das muss nicht zwingend der Fall sein. US-Konzerne wie Procter & Gamble haben in der Vergangenheit ordentlich gejammert, weil ihnen der starke Dollar das Überseegeschäft verdorben hat. Aber generell gilt: Bei ausländischen Aktien beeinflusst die Währung zu rund einem Drittel den Gesamtertrag, das müssen Anleger immer im Hinterkopf haben.

Auch ETF, etwa auf den MSCI World, sind dominiert von US-Aktien.

Daher spielt auch hier das Währungsrisiko eine Rolle. Langfristig muss man aber sehen: Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 ist der Euro tendenziell im Sinkflug, insoweit konnten Anleger, die in US-Aktien investiert hatten, in der Vergangenheit neben Aktienkursgewinnen auch Währungsgewinne generieren.

Geht dieser langfristige Abwärtstrend des Euro trotz des aktuellen Kursanstiegs weiter?

In Europa haben wir das Problem, dass wir eine Währungsunion ohne eine politische Union haben – in den USA ist das anders. In den USA müssen die Bundesstaaten ihre Finanzprobleme selbst lösen. In der Eurozone haben wir mittlerweile eine Art Schuldengemeinschaft, die auf Dauer nicht funktionieren kann. Die ursprünglich vereinbarten Regeln wurden mehrfach gebrochen, und wenn man eine neue Regel erlässt, glaubt niemand ernsthaft daran, dass sich jemand daran halten wird.

Das schwächt den Euro?

Ja, das ist so. Leider ist der Euro nicht die beste Währung der Welt. Aber, auch das muss man klar sagen: Es gibt eine ganze Reihe von Währungen, und dazu zählt nicht nur die türkische Lira, die deutlich schlechter dastehen.

Interview: Sebastian Hölzle

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