München/Berlin – Was die gesetzliche Rente betrifft, ist das Wort Schieflage eine Verniedlichung: Jahr für Jahr schießt der Bund rund 100 Milliarden Euro zu, um die Renten bezahlen zu können. Und die Lücke wird sich vergrößern: Bald gehen die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Auf mehr Rentner werden dann weniger Beitragszahler kommen. Das ist seit Jahren bekannt. Doch zu einer Rentenreform konnte sich die Politik bisher nicht durchringen. Auch die Ampel will die Rente weder kürzen, noch das Eintrittsalter erhöhen und auch die Beiträge nicht anheben.
Eine mögliche Lösung bietet nun der Finanzminister an: das „Generationenkapital“. Er will, dass ein Teil der Rente an den Finanzmärkten investiert wird, zum Beispiel in Aktien. Heute will Christian Lindner in Frankfurt offenbar seine Pläne vorstellen. Einen ersten Schritt in Richtung Kapitalmarktdeckung der Rente hat die Ampel bereits gemacht. In diesem Jahr will sie zehn Milliarden Euro an Schulden aufnehmen und damit einen Kapitalstock für die Aktienrente aufbauen. „Diese teilweise Kapitaldeckung soll als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet werden und global anlegen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Viel mehr ist aber bisher nicht bekannt.
Unklar ist etwa, wie genau dieser öffentlich-rechtliche Fonds aussehen soll und wer ihn verwalten wird. Ebenso fraglich ist, nach welchen Kriterien er investieren soll. Nur oder auch in Aktien? Und: Spielen Nachhaltigkeit oder soziale Aspekte bei der Titelauswahl eine Rolle, wie es bereits bei vielen Investmentfonds für die private Geldanlage der Fall ist? So wären die Wähler von SPD und Grünen eher für das Projekt zu begeistern. Selbst die Finanzierung ist abgesehen von den zehn Milliarden Euro Startkapital noch offen. Möglicherweise bringt Lindner hier etwas mehr Licht ins Dunkel. „Wir brauchen mittel- bis langfristig eine dreistellige Milliardensumme“, sagte der Finanzminister im Dezember. Die könnte zum einen durch weitere Milliardenzuschüsse des Bundes zusammenkommen, möglicherweise schuldenfinanziert. Zum anderen könnten mittelfristig Teile der Rentenbeiträge investiert werden. Lindner scheint das zu planen. Wenn sich die Kapitaldeckung bewährt habe, „was spricht dann dagegen, dass auch die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in die zukünftige Stabilität der Rente investieren“, sagte er am Sonntag.
Im Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, das in Bayern für das Thema Rente zuständig ist, heißt es, man müsse die konkreten Pläne Lindners erst abwarten, bevor man sie abschließend bewerten könne. Bisher betrachtet man die Aktienrente dort aber eher skeptisch. Es könne grundsätzlich sinnvoll sein, die Rente durch Investitionen am Kapitalmarkt auf eine breitere Basis zu stellen, heißt es aus dem Ministerium. Die bisherigen zehn Milliarden Euro seien angesichts der jährlichen Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung von rund 350 Milliarden aber „nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Eine „zeitnahe und dauerhafte Stabilisierung von Renten-niveau und Rentenbeiträgen kann durch die Aktienrente nicht erreicht werden“, kritisiert deshalb Sozialministerin Ulrike Scharf gegenüber unserer Zeitung. „Ich erwarte hier vom Bund ein umfassendes Konzept.“ Zudem müssten Sicherungen eingebaut werden, damit „das angelegte Geld nicht verspekuliert wird“. Wegen den starken Schwankungen am Aktienmarkt sei das Vorhaben kritisch zu betrachten.
Ähnlich sehen es die Koalitionspartner der FDP, zumindest in Teilen. Frank Bsirske, Rentenexperte der Grünen, sprach sich jedenfalls gegen Lindners Pläne aus. „Spekulieren auf Pump ist gefährlich“, so das Gewerkschafts-Urgestein. „Spekulieren mit Rentenversicherungs-Beiträgen ist mindestens genauso gefährlich.“
Ob das die Mehrheitsmeinung in der Ampel ist, muss sich jedoch zeigen. So werben einflussreiche Parteikollegen Bsirskes wie der Finanzexperte Sven Giegold, momentan Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, schon seit Jahren für ähnliche Modelle, weshalb die Grünen einen nachhaltig anlegenden „Bürgerfonds“ im Wahlprogramm hatten. Auch die SPD warb in ihrem Programm mit der Idee eines standardisierten Produktes für die Altersvorsorge, das „von einer öffentlichen Institution angeboten wird“.
Wer soll den neuen Fonds verwalten?
Bayern blickt skeptisch auf die Pläne