„Hoffe, wir springen auf diese Technik auf“

von Redaktion

INTERVIEW Wirtschaftsweise Malmendier: Künstliche Intelligenz verändert den Arbeitsmarkt

Künstliche Intelligenz könnte die Welt ähnlich nachhaltig verändern, wie es einst das Internet tat. Davon geht die Wirtschaftswissenschaftlerin Ulrike Malmendier aus, die die Deutschen mahnt, die Chancen dieser Technologie jetzt zu ergreifen „statt wieder hinterherzuhecheln“. Malmendier ist Wirtschaftsprofessorin an der University of California, Berkeley, und Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung (Wirtschaftsweise).

Frau Professor Malmendier, in den vergangenen Wochen hat das Thema Künstliche Intelligenz (KI) weltweit für Furore gesorgt. Auslöser ist das Programm ChatGPT. Es beantwortet selbst komplexe Fragen häufig verblüffend tiefgründig. Machen Sie sich Sorgen um Ihren Arbeitsplatz an der Universität Berkeley?

Ich sage Kollegen oder Bekannten häufig im Scherz, mit KI wird gerade auch meine Industrie disrupted, also umgewälzt (lacht). Aber im Ernst: Ich glaube, dass es auch langfristig gewisse Bereiche geben wird, in denen menschliche Fähigkeiten der KI überlegen sind, denken Sie nur an Berufe, in denen Kreativität, Empathie oder Überzeugungskraft gefragt sind, oder die Fähigkeit, Informationen zu aggregieren und einzuordnen. Aber umgekehrt stimmt auch: Künftig werden viele Jobs wegen KI anders aussehen. Da werden wir uns umstellen müssen. Bei mir kann es zum Beispiel sein, dass ich die Examina anders gestalten muss, damit ChatGPT die Aufgaben nicht löst, sondern wirklich meine Studenten.

Microsoft-Chef Satya Nadella hat gerade das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz ausgerufen. Auch andere Beobachter sehen KI als ähnlich disruptive Technologie wie das Internet. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja, mit KI könnte in der Tat ein neues Zeitalter anbrechen. KI kann die Menschen bei gewissen Arbeiten unterstützen, gerade beim Checken und Abhaken von bestehendem Wissen, etwa in der Medizin oder Labor-Technik, in der Chemie oder bei der Qualitätskontrolle in der Automobil-Industrie. Da können wir diese Technik nutzen und die frei werdenden Kapazitäten auf innovative Fragestellungen konzentrieren. Ich hoffe inständig, dass wir Deutschen auf diese Technologie aufspringen und die Chance ergreifen, statt wieder hinterherzuhecheln, wie es uns bei der Automobilindustrie oder den erneuerbaren Energien passiert ist.

In den vergangenen Jahren dominierte in der öffentlichen Diskussion bei vielen Beobachtern die Überzeugung, dass neue Technologien vor allem einfache Tätigkeiten ersetzen könnten. Angesichts der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz glauben viele inzwischen, dass KI künftig auch Büro-Angestellte oder Wissensarbeiter treffen könnte. Sie auch?

Ja. Klar gibt es auch Arbeiter, die durch KI ersetzt werden könnten, etwa in der Qualitätskontrolle. Aber mit KI sind jetzt eben auch die Angestellten dran.

Was heißt das für die Beschäftigten?

Das bedeutet, dass jetzt auch in der breiten Bevölkerung klar werden muss: Künftig sind andere Fähigkeiten gefragt. Aber statt KI als Feindbild zu betrachten, sollten wir die Technologie begrüßen und intensiv darüber nachdenken, wie wir uns mit KI einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern sichern, zum Beispiel, indem wir KI früher einbauen – in unsere Entwicklungsabteilungen, Chemie-Labore oder die Industrie-Fertigung, für die Deutschland weltweit bekannt ist.

Deutschland leidet längst unter einem massiven Fachkräftemangel. Kann KI hier womöglich sogar eine Entlastung bringen, vielleicht sogar einen Wachstumsimpuls?

Unbedingt. Deutschland hat einen akuten Fachkräftemangel. Das haben wir auch im aktuellen Jahresgutachten ausführlich diskutiert. Die Entwicklung wird künftig noch dadurch verschärft, dass andere Länder, die uns bisher Arbeitskräfte geschickt haben, inzwischen das gleiche demografische Problem haben. Wir brauchen in Deutschland eine Brutto-Einwanderung von einer Million Menschen, damit wir netto auf rund 400 000 zusätzliche Arbeitskräfte kommen. Meine Hoffnung ist, dass wir diese Lücke mit KI zumindest ein Stück weit schließen können – wenn wir in Deutschland offen für Einsatzmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz sind und KI als Chance begreifen.

Bei aller Euphorie über die neuen Möglichkeiten von KI gibt es auch Forderungen, KI zu regulieren. Wo sehen Sie Ansatzpunkte?

Wir stehen bei KI immer noch ganz am Anfang. Von daher ist es derzeit schwer, den möglichen Regulierungsbedarf abzuschätzen. Aber ganz grundsätzlich müssen wir eine Sache sicherstellen: Dass Menschen sich auch beim Einsatz von KI sicher fühlen können.

In den USA ist zum Jahreswechsel der Inflation Reduction Act (IRA) zum Klimaschutz in Kraft getreten. Viele Unternehmen haben wegen der Förderung von insgesamt rund 370 Milliarden Dollar bereits angekündigt, ihre Investitionen in Deutschland oder Europa zu überdenken. Wie gefährlich ist der IRA für Europa?

Zunächst: Aus US-Sicht ist der IRA mit Blick auf den Klimaschutz sehr zu begrüßen. In der US-Geschichte ist der IRA eines der größten Gesetzesvorhaben, das jemals verabschiedet wurde. Ich habe große Hoffnungen, dass der IRA die Treibhausgasemissionen deutlich reduzieren wird, dass mehr Unternehmen und Unternehmer in erneuerbare Energien investieren oder die Automobilindustrie noch schneller auf E-Mobilität setzt. Und wenn das dann auch noch den Konsum und die Wirtschaft in den USA ankurbelt, profitieren wir auch in Deutschland und Europa davon.

Aber der IRA ist eben auch ein milliardenschweres Investitions- und Subventionsprogramm, mit der die US-Regierung knallhart die US-Industrie fördert.

Das ist so, aber auch nicht neu. Im Gegenteil: Die USA machen das schon seit Jahrzehnten so, und zwar unabhängig davon, ob die Republikaner oder die Demokraten den Präsidenten stellen. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ich halte es für falsch, dass es die staatliche Förderung in den USA künftig nur noch gibt, wenn das Elektroauto in den USA zusammengebaut worden ist und die Rohstoffe für die Batterien zu mindestens 80 Prozent aus US-Produktion stammen. Natürlich sind derlei Subventionswettläufe hoffnungslos ineffizient und führen häufig zu schlimmen Wettbewerbsverzerrungen.

Aber sie locken eben auch Investitionen an?

Absolut. Mit dem IRA gibt es einen zusätzlichen Anreiz in den USA zu produzieren, zumal die Energie-Preise in Europa auch langfristig höher liegen dürften als in den USA. Da ist der IRA ein Risiko, vor allem, wenn Unternehmen ohnehin überlegen, ihre Produktion in die USA zu verlegen.

Brüssel kontert jetzt mit einem europäischen Gegenprogramm. Ist das der richtige Ansatz?

Da habe ich große Zweifel. Statt dem „Buy-American“ jetzt eine „Buy-European“-Politik entgegenzustellen, sollten wir ganz grundsätzlich nachdenken: In welchen Bereichen wollen wir in Europa künftig Vorreiter sein? Die USA haben sich gesagt: Bei der grünen Transformation der Wirtschaft hinken wir sehr weit hinter den Europäern her. Jetzt fördern wir innovative, grüne Technologien wie den grünen Wasserstoff, um die Nummer 1 zu werden. Oder nehmen Sie die Automobil-Industrie: Da haben die Amerikaner ganz nüchtern resümiert: Wir waren in diesem Bereich lange ein großer Player. Jetzt scheint die Zukunft das Elektroauto zu sein. Also wollen wir auch da wieder die Nummer 1 werden. Statt dagegen anzusubventionieren, sollte Europa kühl überlegen, in welchem Zukunftsmarkt wir langfristig an der Weltspitze sein können.

Wo könnte das sein?

Das könnte zum Beispiel bei KI sein, beim Thema Cold Fusion, also der kontrollierten Kernfusion, oder in der Elektro-Mobilität. Warum haben wir es als Autoland nicht geschafft, beim automatisiertem Fahren und E-Autos unsere Position an der Weltspitze zu verteidigen? Warum hat kein deutscher Hersteller versucht, mit den US-Tech-Riesen frühzeitig eine umfassende Allianz zu schließen und ihnen gesagt: Lasst uns zusammenarbeiten. Wir haben die besten Techniker, wir haben das beste Verständnis von Design. Macht es mit uns! Dann funktioniert das Ganze auch! Darüber sollten wir nachdenken – statt uns in Grabenkämpfe mit den USA um Subventionen zu begeben.

Interview: Thomas Schmidtutz

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