Siemens-Aktionäre murren trotz guter Zahlen

von Redaktion

VON SEBASTIAN HÖLZLE

München – Eigentlich könnten die Siemens-Aktionäre zufrieden sein: Am Mittwochabend, einen Tag vor der gestrigen Hauptversammlung, veröffentlichte der Münchner Dax-Konzern nach Börsenschluss die Zahlen für das erste Quartal, das bei Siemens traditionell am 1. Oktober startet. Die wichtigste Botschaft: Umsatz und Gewinn sollen im laufenden Geschäftsjahr stärker steigen als geplant.

Grund sind gute Geschäfte zwischen Oktober und Dezember: Der Umsatz kletterte verglichen mit dem Vorjahresquartal auf um zehn Prozent auf 18,1 Milliarden Euro. Der Gewinn lag unterm Strich bei 1,6 Milliarden Euro. Das ist zwar weniger als ein Jahr zuvor (1,8 Milliarden Euro). Aber nicht das eigene Geschäft dämpfte den Gewinn, sondern vor allem Verluste bei der Minderheitsbeteiligung Siemens Energy (wir berichteten).

Aufs Gesamtjahr gerechnet prognostizierte Siemens ein Umsatzwachstum von sieben bis zehn Prozent – mehr als zuletzt gedacht. Und statt eines Ergebnisses je Aktie zwischen 8,70 Euro und 9,20 Euro geht Siemens nun von 8,90 Euro bis 9,70 Euro je Aktie aus – trotz der Probleme bei Siemens Energy. Die Siemens-Aktie sprang gestern auf den höchsten Kurs seit 13 Monaten. Konzern-Chef Roland Busch sprach am frühen Donnerstagmorgen, also noch vor der Hauptversammlung, von einem „fulminanten Start ins Geschäftsjahr 2023“.

Auf der Veranstaltung sahen sich Busch und Aufsichtsrats-Chef Jim Snabe aber Kritik ausgesetzt. Nicht etwa wegen der Geschäftszahlen oder der Strategie des Konzerns. Hier zeigten sich die Aktionäre in ihren Redebeiträgen im Großen und Ganzen zufrieden, 4,25 Euro statt 4,00 Euro wie im Vorjahr sollen die Aktionäre je Anteilsschein an Dividende erhalten. Kritisiert wurde die Durchführung der Hauptversammlung – abgekürzt „HV“. Obwohl aktuell fast überall Corona-Maßnahmen fallen, hatte Siemens seine Anteilseigner nicht etwa in die Münchner Olympiahalle eingeladen, wie es in den Jahren vor der Pandemie üblich war. Stattdessen sprachen Vorstand und Aufsichtsrat gestern aus einem Fernsehstudio zu den Aktionären. Rechtlich ist das inzwischen möglich. „Durch das digitale Format ermöglichen wir es mehr Menschen, dabei zu sein“, sagte Aufsichtsrats-Chef Snabe.

Die großen Fonds und Aktionärsvertreter widersprachen. Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sprach sich für eine Mischform aus Anwesenheit und Online-Format aus. „Ich bin absolut gegen dieses ausschließlich virtuelle Format“, sagte Bergdolt in ihrem Video-Beitrag. Angesichts einer Geschichte von 175 Jahren hätte es Siemens gut gestanden, die Veranstlatung in Präsenz durchzuführen.

Vera Diehl von Union Investment kündigte an, gegen eine geplante Satzungsänderung stimmen zu wollen, nach der virtuelle Hauptversammlungen auch in Zukunft möglich sein sollen. Nur in Präsenz sei eine lebhafte Generaldebatte möglich, sagte Diehl in ihrer Videoschalte.

Auch Ingo Speich von Deka Investments kündigte an, gegen die Satzungsänderung zu stimmen. „Wir stellen mit Bedauern fest, dass Siemens mit der jahrzehntelangen Tradition einer Präsenzhauptversammlung bricht und das, obwohl Siemens in der Region sehr stark verwurzelt ist und viele lokale Siemens Aktionäre hat“, sagte Speich. „Die virtuelle HV hebt den Siemens-Vorstand und den Aufsichtsrat in einen Elfenbeinturm.“

Markus Kienle von der Schutzgemeinschaft deutscher Kapitalanleger (SdK) nannte Aktionärstreffen mit Anwesenheit einen „Stimmungsseismografen“. Eine virtuelle Hauptversammlung könne das nicht bieten.

Siemens-Chef Busch begründete das virtuelle Format auch mit Kosten. „So ist die virtuelle Hauptversammlung etwa 35 Prozent günstiger als eine Präsenzhauptversammlung, das ist auch im Interesse der Aktionäre“, sagte er. 2,5 Millionen Euro habe die gestrige Veranstaltung gekostet. „Wir schließen aber nicht aus, dass es in Zukunft ein hybrides Format geben wird“, sagte er. Die Möglichkeit für ein rein virtuelles Treffen bleibt aber bestehen: Über 83 Prozent des stimmberechtigten Kapitals votierten gestern für die entsprechende Satzungsänderung.

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