Herzogenaurach – Es ist eine skurril anmutende Debatte, wie sie noch bei keinem deutschen Dax-Konzern jemals geführt wurde. „Wir können die Ware vernichten oder verschenken oder verkaufen und den Erlös spenden“, zählt Björn Gulden die trüben Optionen auf. Der seit sieben Wochen amtierende Adidas-Chef spricht von mehreren Millionen Paar Edelsportschuhen der Submarke Yeezy mit einem potenziellen Umsatzvolumen von 1,2 Milliarden Euro. Sie sind Teil des schweren Erbes, das er mit seiner Amtsübernahme bei der Marke mit den drei Streifen angetreten hat. Die Schuhe sind das toxische Überbleibsel einer Ende 2022 spektakulär beendeten Kooperation von Adidas mit dem antisemitischen US-Skandalrapper Kanye West. Aber sie sind wahrlich nicht das einzige Problem.
Dazu kommen massive Einbrüche in China, übervolle Lager dort und in den USA, zum Abverkauf nötige Rabatte, hohe Kosten für strategische Neujustierung, der Abschied aus Russland sowie einiges andere. In der Summe ergibt das ein Fiasko. Statt 2022 geplanter 20 Prozent Umsatzwachstum stand am Ende ein marginales Plus von einem Prozent auf 22,5 Milliarden Euro. Der Gewinn aus fortgeführtem Geschäft verfiel von 1,5 Milliarden Euro auf noch 254 Millionen Euro. Dabei war 2022 ein Jahr mit Fußball-Weltmeisterschaften sowohl bei Frauen als auch bei Männern und Olympischen Spielen, was normalerweise die Kassen klingeln lässt.
Das gilt umso mehr, als Adidas mit Argentinien das Team der neuen Weltmeisterelf ausrüstet. Für den kleineren Lokalrivalen Puma, dessen Chef Gulden 2022 noch war, ist es ein Rekordjahr gewesen. Die Puma-Umsätze wuchsen um das Fünftel, dessen, was Adidas sich vorgenommen hatte, auf knapp 8,5 Milliarden Euro. Der operative Gewinn legte ähnlich stark auf 641 Millionen Euro zu. Das macht das Debakel bei Adidas noch wuchtiger.
Einen zweiten Tiefschlag neben dem Kanye-West-Debakel brachte das China-Geschäft, wo der abgetretene Gulden-Vorgänger Kasper Rorsted 2022 auf eine Erholung spekuliert hatte. Was kam, waren noch tiefere Einbrüche, um die Hälfte allein im Abschlussquartal 2022. Auf das Gesamtjahr gerechnet betrug der Umsatzschwund in China über ein Drittel. Auch dieses Geschäft gilt als besonders margenstark. Dazu kommt ein kostspieliger Rückzug aus Russland in Folge des Ukrainekriegs. Dortige Geschäfte standen einmal für drei Prozent aller Adidas-Umsätze weltweit.
Damit sind für Adidas drei wichtige Gewinnquellen innerhalb eines Jahres versiegt oder zu Rinnsalen geworden, betont Finanzchef Harm Ohlmeyer. 2023 wird es zudem erst einmal noch schlechter, bevor es wieder besser werden kann. Denn sollten die viele Millionen Paar Yeezy-Schuhe am Ende vernichtet werden, würde das im laufenden Jahr neben entgangenem Milliardenumsatz rund eine halbe Milliarde Euro an Abschreibungen auslösen. Zusammen mit 200 Millionen Euro, die für nicht näher erklärte strategische Veränderungen im Raum stehen, würde das Adidas 2023 erstmals seit Jahrzehnten in die Verlustzone treiben, räumten Gulden und Ohlmeyer ein. Im günstigsten Fall bringe das Jahr eine schwarze Null, im schlimmsten Fall 700 Millionen Euro Betriebsverlust.