Jeder Vierte arbeitet im Homeoffice

von Redaktion

VON CARSTEN HOEFER

München – Die Corona-Pandemie ist vorbei. Aber die Nachwirkungen bleiben – auch im Berufsleben. Homeoffice hat durch das Virus einen wahren Boom erlebt und viele Arbeitgeber, die sich das bis dahin nicht vorstellen konnten, haben sich damit arrangiert. Weder die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) noch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) oder das Münchner Ifo-Institut gehen davon aus, dass Angestellte wieder in altgewohnter Zahl ins Büro gehen. „Homeoffice und Videokonferenzen sind heute gelebte Praxis und nicht mehr aus dem betrieblichen Alltag wegzudenken“, sagt vbw- Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt.

Im März 2020 kam der erste Corona-Lockdown mit rigiden Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen. Homeoffice galt als ein perfekter Verhinderer der Ausbreitung des Virus. Nach einer aktuellen vbw-Studie bieten mittlerweile 96 Prozent der befragten Unternehmen aus dem Industrie- und Dienstleistungssektor wenigstens für einen Teil der Belegschaft die Möglichkeit zur Arbeit im Homeoffice. Vor Beginn der Pandemie war es etwas mehr als die Hälfte. „Demzufolge ist auch davon auszugehen, dass die tatsächlichen Homeoffice-Tage sprunghaft angestiegen sind“, sagt Brossardt. Videokonferenzen sind laut der vbw-Studie in 93 Prozent der Unternehmen Alltag, 2019 waren es nur 26 Prozent.

Dem Ifo-Institut zufolge hat sich der Anteil der Beschäftigten im Homeoffice bei etwa einem Viertel stabilisiert. In manchen Branchen sind die Heimarbeiter nach wie vor in der großen Mehrheit, so bei den IT-Dienstleistern mit über 70 Prozent. Die einstige Sorge vieler Unternehmen, dass bei unbeaufsichtigten Arbeitnehmern im Homeoffice der Schlendrian Einzug hält, habe sich bislang nicht bewahrheitet. „In der Regel senkt Homeoffice die Produktivität nicht, teilweise sind Produktivitätssteigerungen sogar messbar, bei steigender Job-Zufriedenheit der Beschäftigten“, sagt Ifo-Experte Jean-Victor Alipour. Negative Produktivitätseffekte seien vor allem in der Anfangszeit dokumentiert worden, als die Unternehmen sich anpassen mussten. Allerdings deuten manche Studien darauf hin, dass die Kreativität leiden könnte. Alipour verweist auf eine 2022 erschienene Untersuchung, wonach Videokonferenzen für die Entwicklung kreativer Ideen weniger förderlich seien als Präsenzmeetings.

Eine weitere Folge der Pandemie war, dass Arbeitnehmer manchen Branchen in Scharen den Rücken kehrten, etwa der Gastronomie. „Zu beobachten waren ganze Branchenverschiebungen von Arbeitskräften“, sagt der bayerische DGB-Vorsitzende Bernhard Stiedl. „Die pandemiebedingten Einschnitte etwa im Bereich der Selbstständigen oder der Minijobberinnen sind bis heute sichtbar.“

Nach Stiedls Einschätzung sind viele Firmen mit schuld daran, dass ihnen nun Personal fehlt: „Branchen, die wieder das Wort Fachkräftemangel vor sich hertragen, boten während der Pandemie nur unzureichenden Schutz, sodass sich viele Beschäftigte umorientierten.“ Insgesamt, da sind sich DGB und vbw einig, war der bayerische Arbeitsmarkt in der Krise aber insgesamt robust.

Eine Hauptsorge vieler Unternehmen ist der Fachkräftemangel, der sich wohl verschärfen wird. Eine offene Frage ist, ob langfristig Berufe unpopulärer werden, in denen Homeoffice kaum oder gar nicht möglich ist. Beispiele wären Bäcker, Bau- und Industriearbeiter ebenso wie Pflegepersonal. Wirtschaftsverbände wie die vbw pochen darauf, dass den Unternehmen die Entscheidung überlassen bleibt, ob sie Homeoffice anbieten oder nicht. „Sie darf nicht staatlich angeordnet werden“, sagt Brossardt.

Eine weitere Frage sind mögliche Langzeitfolgen von Heimbüro und Digitalisierung für das seelische Wohlbefinden. Schon vor der Pandemie stieg die Zahl der Krankschreibungen und Arbeitsunfähigkeiten wegen psychischer Leiden, der Trend hält an. „Die Auseinandersetzungen um eine gute Gestaltung der neuen Möglichkeiten dauern an“, sagt Stiedl. „Nur eine Minderheit fühlte sich durch die Verwendung digitaler Arbeitsmittel während der Pandemie entlastet.“

Nach Einschätzung der vbw hatte die Pandemie aber sowohl bei Unternehmen als auch Beschäftigten ein gesteigertes Gesundheitsbewusstsein zur Folge. „Auch die psychische Gesundheitsvorsorge ist weiter in den Vordergrund gerückt“, sagt Brossardt. „Wir haben gesehen, dass dauerhaftes Arbeiten im Homeoffice psychische Probleme verursachen kann, zum Beispiel Vereinsamungseffekte.“

93 Prozent machen Videokonferenzen

Heimarbeit fördert

psychische Leiden

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