München – Kälte, abgelegene Orte und weite Strecken: In Skandinavien finden sich fast alle Faktoren, die Elektromobilität erschweren. Dennoch spielt Nordeuropa für den Nutzfahrzeughersteller MAN bei der Markteinführung seiner neuen E-Lkw ein wichtige Rolle: 2024 werden gleich aus der ersten Welle einige der in München gebauten E-Trucks für den Schwerlast- und Fernverkehr nach Skandinavien gehen. Das gab das zur VW-Tochter Traton gehörende Münchner Unternehmen am Dienstag bekannt.
Der Grund: Bei der Elektrifizierung des Verkehrs sind Schweden, Norwegen und Dänemark weltweit spitze. Sechs von zehn neu zugelassene Autos sind dort mittlerweile elektrisch betrieben. Auch bei den Nutzfahrzeugen geben sich die Länder ambitionierte Ziele: Dänemark staffelt seine Lkw-Maut ab 2025 nach dem CO2-Ausstoß der Fahrzeuge, Kopenhagen will ab 2025 nur E-Busse in der Stadt haben und in Schweden sollen ab 2030 keine neuen Lkw mit Verbrenner mehr zugelassen werden.
Den nordischen Ländern komme „eine Vorbildrolle in Sachen E-Mobilität zu“, sagte MAN-Chef Alexander Vlaskamp. Das liege nicht nur an den strengeren Umweltvorgaben, sondern auch an der besseren Ladeinfrastruktur und der Offenheit gegenüber neuen Technologien. MAN werde in fast jedem Kundengespräch in Skandinavien auf E-Fahrzeuge angesprochen, erklärte Vlaskamp. „Diesen Spirit brauchen wir in ganz Europa, damit die Verkehrswende gelingen kann.“
Während hierzulande also noch über den Umstieg gestritten wird, ist diese im Norden schon in vollem Gange. Das zeige sich auch in den Orderbüchern, bestätigt MAN. Beispiel elektrische Busse: Bis Ende dieses Jahres sollen in Skandinavien bereits rund 370 elektrische Stadtbusse von MAN im Einsatz sein. „Gegenüber Italien, Deutschland oder Frankreich sind die Skandinavier hier etwa drei bis vier Jahre voraus“, rechnet Vlaskamp vor. Daraus ergebe sich auch ein riesiger Erfahrungsschatz. Bei Lkw will er den Vorsprung erst gar nicht beziffern, weil es hier im Rest Europas enorme Unsicherheitsfaktoren gebe.
Auch bei der Stromproduktion sind die Skandinavier längst einen Schritt weiter. Der Strom kommt dort zu weiten Teilen aus Erneuerbaren Energien, in Norwegen fast vollständig, in Dänemark immerhin zu drei Vierteln und in Schweden zu fast zwei Dritteln. In Deutschland ist es etwas weniger als die Hälfte. Deshalb appelliert MAN wie viele andere Fahrzeughersteller an die Politik, die Ladeinfrastruktur und die Erneuerbaren Energien zügig auszubauen. Bis 2030 könnten laut MAN rund 350 000 elektrische Lkw auf Europas Straßen unterwegs sein. Dafür bräuchte man jedoch rund 17 500 schnelle Ladesäulen und rund 6000 Windräder, um die Flotte zu versorgen.
ANDREAS HÖSS