München – Wind und Sonne sollen in Zukunft den Löwenanteil der Stromversorgung stemmen – und mit den neuen Rechtsrahmen sehen Experten gute Chancen, die Ziele zu erreichen. Doch die nötige Infrastruktur hinkt noch gewaltig hinterher, wie eine neue Studie zeugt.
Denn aktuell sind in Deutschland rund 220 Gigawatt Kraftwerksleistung installiert. „Bis 2045 werden es 500 bis 700 sein“, erklärt Oliver Brückl, Professor für Energienetze an der Technischen Hochschule Regensburg (OTH). Die Grünen im bayerischen Landtag hatten ihn mit einer Studie zum Netzausbau in Bayern beauftragt. „Wir stehen schon heute oft vor dem Problem, dass erneuerbare Anlagen abgeregelt werden müssen oder gar nicht erst angeschlossen werden, weil die Netze es nicht hergeben“, so Brückl. Experten zufolge geht es um rund sechs Milliarden Kilowattstunden jährlich.
Denn Wind und Sonne liefern nicht rund um die Uhr Strom. Um übers Jahr dieselbe Strommenge zu erzeugen, wie ein konventionelles Kraftwerk, müssen sie während der sonnigen, beziehungsweise windigen Volllaststunden, mehr Leistung bringen. Selbst wenn es die nötigen Speicher gäbe, steht bisher der Flaschenhals Stromnetz im Weg. Um mit der Energiewende Schritt zu halten „müssen wir das Tempo beim Netzausbau verdreifachen“.
Laut Oliver Brückl fehlt es vor allem auf der Planungsebene: „Gerade bei dezentralen Anlagen wie Windrädern oder Freiflächen-Solar gibt es aktuell oft einen Interessenkonflikt: Der Netzbetreiber will den Einspeisepunkt möglichst nahe am Bestandsnetz setzen, der Anlagenbetreiber will ihn möglichst nah an seinem Kraftwerk.“ Hintergrund: Niemand will den teuren Ausbau bezahlen. „Und dann machen die Netzbetreiber einen Plan, den die Projektierer dann noch einmal überprüfen, um einen günstigeren Einspeisepunkt zu bestimmen – das knappe Personal wird also doppelt eingesetzt.“ Er fordert vom Gesetzgeber die Kompetenzen zu regeln: „Die Netzbetreiber sollten die Kosten tragen und von den Anlagebetreibern über einen Beitrag unterstützt werden.“ Außerdem spricht sich Brückl für mehr Planungssicherheit seitens der Politik aus. Denn bisher müssen die Kommunen nur Nutzungspläne für Windräder aufstellen. „Ein Drittel des Stroms soll aber künftig von Freiflächen-PV-Anlagen kommen – hier müssen die Kommunen aber noch keine Flächen ausweisen“, so Brückl. Das Ergebnis: Die Netzbetreiber sind beim Ausbau zurückhaltend.
Martin Stümpfer, energiepolitischer Sprecher der Grünen: „Wir sollten alle Kommunen verpflichten, bis Herbst 2024 Energienutzungspläne aufzustellen.“
Wissenschaftler Brückl spricht sich außerdem für neue Regularien aus: „Wenn wir intelligente Stationen und geregelte Transformatoren vorschreiben, könnten wir gut 45 Prozent Kosten einsparen.“ Denn flexible Transformatoren können höhere Spannungen regeln – Kapazität, die man dann nicht mehr in Kupfer verlegen müsste. Vor allem aber bräuchte es mehr Personal: „Die Staatsregierung will 100 neue Stellen in den Genehmigungsbehörden schaffen“, so Martin Stümpf. „Davon geht ein Drittel an regionale Planungsverbände. Wir brauchen aber 200 Stellen nur für den Netzausbau.“ MATTHIAS SCHNEIDER