Ariane 6 macht sich startklar

von Redaktion

VON MARTIN PREM

Lampoldshausen – Das Hügelland zwischen den Flüssen Jagst und Kocher im nördlichen Baden Württemberg, kleine Ortschaften, Laubwald, viel Natur. Doch hin und wieder ist es mit der Ruhe vorbei. „Dann klirren die Teller in den Schränken“, erzählen Bewohner. Für sie kein Grund zur Sorge. Denn nach wenigen Minuten ist wieder Ruhe. Lampoldshausen ist Standort des Instituts für Raumfahrtantriebe des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt. Hier werden Triebwerke und ganze Raketenstufen getestet.

180 Kilonewton Schub werden beim Vinci-Triebwerk freigesetzt. Das ist der Motor, der die Oberstufe der Ariane 6 antreibt. Die enorme Kraft entspricht seiner Masse von 18 Tonnen, die permanent auf den Boden einhämmert. Im neuesten Prüfstand, intern 5,2 genannt, wird nicht nur das Triebwerk, sondern die ganze Oberstufe der künftig wichtigsten europäischen Weltraumrakete getestet, bei der der deutsche Teil des Raketenbauers Ariane-Group die Regie führt.

Bis zu neun Minuten lang kann sie Schub liefern. Doch in der Regel nicht auf einmal. Denn die Stufe ist wiederzündbar, um Nutzlasten an verschiedenen Orten im Weltraum abzusetzen. Beide Stufen der Ariane 6 verbrennen Wasserstoff als Treibstoff. Als Abgas entstehen gewaltige Mengen an Wasserdampf. Und bei vielen Tests ist es eine der Hauptaufgaben, diesen Dampf schnell aus dem Prüfstand herauszubekommen. Das schafft die DLR mit weiteren raketenartigen Motoren, die gewaltige Mengen an Wasserdampf in hoher Geschwindigkeit ausstoßen. Dessen Bewegung reißt den Dampf aus den Triebwerken mit, wie Anja Frank, Leiterin der Versuchsanlagen, erklärt. Physiker sprechen vom Venturi-Effekt, der gewaltige Mengen an Energie umgesetzt.

Der Wasserstoff, der dabei zum Einsatz kommt, ist zu einem erheblichen Teil klimaneutral, sagt Institutsdirektor Stefan Schlechtriem. Ein Elektrolyseur auf dem Gelände spaltet Wasser in seine Bestandteile auf. Die Energie bezieht er per Direktleitung von nahen Windparks ohne Umweg über das Stromnetz. Das gewährleistet, dass tatsächlich kein Kohlestrom verbraucht wird. Und die Direktleitung macht den Windstrom fürs DLR auch noch billiger.

Die Oberstufe der Ariane 6 besteht nicht nur aus dem Triebwerk, den Tanks für Wasserstoff und Sauerstoff, den ausgefeilten Zuleitungen und Pumpen. Auch die Steueravionik für die ganze Rakete ist hier untergebracht. Die als ganze Rakete so schlank wirkende Konstruktion zeigt im Prüfstand ihre wirkliche Größe. Sie hat den Durchmesser eines Kirchturms, ist aber viel filigraner aufgebaut. Die besteht aus Aluminium und Titan. Das Metall ist mit einer dicken Schicht des Kunststoffs Polyurethan verkleidet. Später soll aus Gewichtsgründen auch vermehrt kohlefaserverstärkter Kunststoff zum Einsatz kommen.

Die Raketenstufe im Prüfstand ist nahezu komplett. Lediglich der Unterteil der Düse fehlt. Ebenso das Selbstzerstörungssystem, das bei einem Zwischenfall die gesamte Rakete sprengt, um schwere Schäden bei einem Absturz zu vermeiden. Schwerwiegende Zwischenfällen in Lampoldsshausen sind nicht bekannt. Doch während des Raketentests gilt ein rigides Sicherheitsregime. Im Freien darf sich keiner aufhalten. Die Testcrews, bis zu 35 Personen, ist während der Tests in einem Kommandostand eingeschlossen, der als Bunker ausgelegt ist. Im Inneren wirkt er mit seinen vielen Bildschirmen wie ein richtiges Raumfahrtkontrollzentrum. Jede Kleinigkeit, die während des „Flugs“ im Prüfstand von den zahlreichen Detektoren übermittelt wird, wird aufgezeichnet und ausgewertet. Damit lassen sich Fehlstarts beim späteren wirklichen Flug vermeiden.

Während Konkurrenten solche Fehlschläge bei Testflügen wegstecken, um daraus zu lernen, wie Space X-Chef Elon Musk mehrfach gesagt hat, meidet Ariane jedes Risiko. Die große Stärke der europäischen Weltraumrakete ist schließlich ihre Zuverlässigkeit. Fehlschläge sind extrem selten. Beim Preis dagegen können die Europäer mit der kommerziellen Konkurrenz aus den USA nicht mithalten. Dabei haben sich die Kosten pro Kilogramm Nutzlast bei der Ariane 6 gegenüber der Ariane 5 bereits halbiert. Allerdings erhoffen sich die Betreiber weitere Einsparungen. Der Aufbau einer Wasserstoff-infrastruktur könnte dabei helfen. Bauteile, die jetzt in Kleinstserie oder in Handarbeit aufwendig gefertigt werden stünden dann aus Großserienfertigung zur Verfügung, erwartet Schlechtriem.

Das aber ist Zukunftsmusik. Aktuell geht es darum, das schon um zwei Jahre verspätete Ariane-6-Programm voranzubringen. Noch ist von einem Start in diesem Jahr die Rede. Alle Verantwortlichen räumen ein, dass das ein sehr sportliches Ziel ist. Doch die Zeit drängt. Noch im April steht die vorletzte Ariane 5 am Start und im Juli die allerletzte. Zumindest für ein halbes Jahr, hat Europa voraussichtlich keinen eigenständigen Zugang zum Weltraum mehr und ist auf Hilfe anderer Länder angewiesen. Es sei denn, einer der privaten Wettbewerber (siehe unten) schafft es, die Lücke zumindest für kleinere Nutzlasten und zu niedrigen Umlaufbahnen zu schließen.

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