Hensoldt: Europäer sollten gemeinsam rüsten

von Redaktion

München – „Wir können uns die nationalen Alleingänge nicht mehr leisten.“ Europa habe 172 große Waffensysteme, die USA 32: „Jetzt können Sie sich vorstellen, wie ineffizient wir unterwegs sind.“ Ohne den Schutzschirm der USA hätte Europa „den Aggressionen um uns herum nichts entgegenzusetzen“. Europa müsse eigenständiger werden, sagte Müller mit Blick auf den Ukraine-Krieg, die US-Wahlen, Chinas Drohungen gegen Taiwan und das iranische Atomprogramm. Ein europäischer Raketenabwehrschirm sei notwendig.

„Gebt Brüssel fünf Milliarden Euro, um Waffensysteme für Europa zu beschaffen“, fordert Müller und weiß, dass das derzeit ein frommer Wunsch bleibt. Vor allem auch das militärisch-industrielle Selbstbewusstsein Frankreichs stehe dem entgegen. Anderenorts aber baut Müller auf mehr Kooperationswillen seitens Industrie und Politik. Auch mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahlen 2024 sei das eventuell bitter nötig. Denn bei einem republikanischen US-Präsidenten Donald Trump oder Ron de Santis brauche Europa voraussichtlich dringend mehr Rüstungssouveränität.

Neben US-Giganten wie Lockheed Martin oder Northrop Grumman seien die europäischen Rüstungskonzerne klein. Mit Partnerschaften und Fusionen auf Augenhöhe zu kommen sei schwer – Deutschland poche auf seine Exportbeschränkungen. Frankreich fördere seine Luftfahrt- und Rüstungsindustrie und „würde das Heft nie aus der Hand geben wollen“. Auch andere zögerten, „ihre Kronjuwelen einzubringen“, sagte Müller.

Die Nachfrage nach Rüstung wachse, am stärksten nach Elektronik und in Osteuropa. Auf den ukrainischen Gefechtsfeldern sei das Sammeln und Verarbeiten riesiger Datenmengen entscheidend, um gegen einen zahlenmäßig überlegenen Gegner zu überleben. Die Ukraine könne sich inzwischen mit zwei Luftabwehrschirmen Iris-T-SLM besser gegen russische Raketen und Flugzeugangriffe schützen; zwei weitere seien bestellt. Die Ukraine trage aber weniger als 5 Prozent zum Hensoldt-Umsatz von 1,7 Milliarden Euro bei.

Für Bauteile von Zulieferern gebe es heute anderthalb Jahre Wartezeit, sagte Müller. Der Radar- und Sensorikhersteller kauft 90 Prozent seiner Bauteile in Deutschland, 10 Prozent im restlichen Europa „und anderen sicheren Quellen“, aber nichts aus Taiwan oder China.

Die Hensoldt AG mit Sitz in Taufkirchen gehört zu je 25,1 Prozent der Bundesrepublik und dem italienischen Rüstungskonzern Leonardo. Keine Rakete trifft ohne die Radargeräte von Hensoldt, kein Panzer ohne deren Optronik. Die erst 2017 gegründete Airbus-Abspaltung ist ein Elektronikspezialist, wie es ihn in Deutschland kein zweites Mal gibt. Europaweit ist nur die französische Thales im Bereich Rüstungselektonik größer, das allerdings um ein Mehrfaches. Auf 17,6 Milliarden Euro Umsatz kamen die Franzosen 2022. Hensoldt, das seine Erlöse seit der Airbus-Abspaltung verdoppelt hat, erlöste zuletzt 1,7 Milliarden Euro.

Für 2023 peilt Müller zwei Milliarden Euro an. Erste Aufträge aus dem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen Bundeswehr sollen endlich in Taufkirchen ankommen. Kapazitätsaufbau ist die Folge. Bei der Produktion hochpräziser Radarsysteme, von denen zwei bereits in der Ukraine ihren Dienst tun und zwei weitere bestellt sind, geht Hensoldt in Vorleistung und baut auf Halde, um Lieferzeiten zu verkürzen, sagt Müller. Das schafft Stellen. Dieses Jahr würden 600 Jobs aufgebaut und in den drei Folgejahren weitere rund 1000 auf dann rund 8000 Arbeitsplätze, kündigt Müller an. Aufgebaut wird vor allem an deutschen Standorten, deren größte in Baden-Württemberg liegen. Allein in Ulm arbeiten knapp 2800 Leute. Danach folgen Oberkochen mit 800 und die Zentrale in Taufkirchen mit 520 Mitarbeitern.

Technologisch bleibe Hensoldt bei der Elektronik unter zunehmender Zuhilfenahme Künstlicher Intelligenz und werde nicht diversifizieren, stellt Müller klar. Er sieht seinen Konzern als Keimzelle für eine neue paneuropäische Konsolidierung in der Rüstungselektronik. Ein zweites Schwergewicht neben Thales könne so entstehen.  tmh, dpa

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