Berlin – Angesichts des immer drastischer werdenden Fachkräftemangels treten die Gewerkschaften zum 1. Mai besonders selbstbewusst auf. Eine zentrale Forderung: die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Während die Arbeitnehmervertreter mit mehr Lebenszeit werben, fordern die Arbeitgeber „mehr Bock auf Arbeit“.
Für den IG-Metall-Chef Jörg Hofmann ist eine Vier-Tage-Woche die Maßnahme, um gegen den Fachkräftemangel vorzugehen. Dies sei wichtig für den Erfolg der Klimawende. „Um genug Leute zu haben, müssen Jobs in diesen Bereichen attraktiver werden“, sagt er der Bild am Sonntag. Für die Arbeitnehmer in der Industrie hat er schon ein Konzept. „Zuallererst brauchen wir die Vier-Tage-Woche für Berufe, in denen kein Homeoffice möglich ist, wie auf Baustellen“, sagt er. Laut ihm steigert die Vier-Tage-Woche die Produktivität und die Arbeitszufriedenheit. Hofmanns Einschätzung nach würden bei einer Arbeit von 32 Stunden mehr Frauen in die Vollzeit zurückkehren, weil „dieses Modell auch mit Familie funktioniert“.
Rückendeckung bekommt Hofmann von SPD-Bundes-chefin Saskia Esken. Sie prognostiziert bei einer Vier-Tage-Woche „gute Ergebnisse“. „Es gibt Studien, wonach Menschen in einer auf vier Arbeitstage reduzierten Woche effektiver arbeiten, weil sie eine höhere Arbeitszufriedenheit haben. Denn sie haben mehr Privatleben“, sagt sie dem RND.
Gerade Eltern bräuchten flexiblere und geringere Arbeitszeiten, um ihre familiären Pflichten und Bedürfnisse besser organisieren zu können. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat zum Tag der Arbeit grundsätzlich auf eine Stärkung der Tarifbindung gepocht. Für mehr Schutz der Beschäftigten müsse die Tarifbindung erhöht werden, fordert die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi.
Auch die DGB-Chefin unterstützt die Vier-Tage-Woche grundsätzlich. Fahimi sieht darin aber keine allgemeine Lösung, sondern eine Entscheidung, die in den jeweiligen Branchen getroffen werden müsse.
Vor allem von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gibt es Kritik an dem Vorschlag. „Deutlich weniger Arbeit bei vollem Lohnausgleich – wirtschaftlich ist das eine Milchmädchenrechnung“, entgegnet BDA-Chef Steffen Kampeter in der „BamS“. „Nur mit mehr Bock auf Arbeit und Innovationen werden wir unseren Sozialstaat und den Klimaschutz auf Dauer finanzieren können.“
Kampeter schlägt stattdessen eine Vier-Tage-Woche bei gleichbleibender Stundenzahl vor – also ein flexibleres Arbeitsrecht. „Wenn es möglich ist, 39 Stunden in der Woche auf vier Tage zu verteilen – auch gut“, sagt er.
Zuspruch erhält Kampeter dafür aus der FDP. Für Fraktionschef Christian Dürr ist der Vorschlag „unverständlich“. Verkürzte Arbeitszeiten würden Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit nicht stärken, sondern schaden“, sagt er der Funke Mediengruppe. Für Dürr lässt sich dieses Modell auch nicht auf alle Branchen übertragen. „So ist es beispielsweise im Gesundheitswesen oder in der Kinderbetreuung erforderlich, dass die Arbeitnehmer vor Ort sind. Arbeitszeiten lassen sich dabei nicht verrechnen“, so Dürr.
Ein Nebenkriegsschauplatz ist derweil das Streikrecht: Teile der Union hatten unlängst gefordert, das Streikrecht in besonders wichtigen Branchen einzuschränken: Die DGB-Chefin reagierte auf der Kundgebung in Köln kämpferisch: „Ihr seid so systemrelevant, dass man euch das Streikrecht absprechen will. Aber nicht so systemrelevant, dass man Euch ordentliche Löhne zahlen will“, rief Fahimi den Zuhörern zu. dpa