Frankfurt – Nach dem Befreiungsschlag zu Christi Himmelfahrt ist dem Dax am Freitag der Sprung auf ein Rekordhoch gelungen. Mit gut 16 293 Punkten ließ der deutsche Leitindex seine bisherige Bestmarke aus dem Jahr 2021 um rund drei Punkte hinter sich. Nach wochenlangem Geplänkel unter der Marke von 16 000 Zählern hatte vorsichtiger Optimismus über Fortschritte im Streit um eine höhere US-Schuldengrenze zur Abwendung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit der USA frischen Schwung in den deutschen Aktienmarkt gebracht.
Das könne wie eine Initialzündung wirken, erklärte der Marktexperte und technische Analyst Christoph Geyer am gestrigen Freitagmittag. Der alte Dax-Rekord von 16 290 Punkten stammt aus dem November 2021, bevor im Jahr darauf Russlands Krieg gegen die Ukraine sowie steigende Leitzinsen infolge hoher Inflation die Börsen weltweit heruntergezogen hatten. Seit Herbst 2022 läuft es aber wieder rund, der Dax hat sich seit dem Kursrutsch im September stark erholt.
Dafür sorgte auch ein gewisser Konjunkturoptimismus nach dem Ende der harten Corona-Einschränkungen Chinas vor dem Jahreswechsel. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt gilt nachwievor als wichtiges Zugpferd der globalen Konjunktur. Zwar stockt es in der chinesischen Wirtschaft vor allem in der Industrie immer noch, doch gibt es auch positive Signale. „In der aktuellen Berichtssaison bestätigen europäische Hersteller von Automobilen, Luxusgütern und Sportartikeln eine gesunde Erholung der chinesischen Umsätze, wenn auch der starke Aufschwung aus dem ersten Quartal nicht über das gesamte Jahr fortführbar erscheint“, erklärte Analyst Sven Streibel von der DZ Bank unlängst. Er sieht den Dax zum Jahresende bei 16 500 Punkten. Es gebe aber auch Risiken. Denn: Aktuell fehlten noch Wirtschaftsimpulse und es gelte, die möglichen Effekte einer Konjunkturdelle einzubeziehen. Insgesamt hingen Europas Aktien maßgeblich von Chinas wirtschaftlichem Aufschwung ab – und der ist längst noch nicht stabil.
Ungemach für die Weltwirtschaft bergen auch die Spannungen zwischen den USA und China in puncto Unabhängigkeit Taiwans. Westliche Staaten treibt auch deshalb die Sorge um ihre Abhängigkeit von China bei der Versorgung etwa mit Rohstoffen, Pharmaprodukten und Elektronikchips um. Sie steuern aktuell zwar gegen, allerdings wird es Jahre dauern, ausreichend eigene Kapazitäten aufzubauen. Der Chefvolkswirt der Allianz, Ludovic Subran, sieht denn auch die Gefahr einer neuen Protektionismus-Phase. Denn US-Präsident Joe Biden führt den Kurs seines Vorgängers Donald Trump nicht nur fort, er verschärft ihn teils sogar.
Gleichzeitig ärgert sich Europa über protektionistische US-Subventionen für saubere Technologien und damit über mögliche Wettbewerbseinschränkungen. Angesichts massiver staatlicher Förderungen für viele Industrien in den USA halten sich nicht wenige europäische Unternehmen aktuell bei Investitionen in Europa eher zurück und wenden sich stattdessen lieber den USA zu.
Daniel Saurenz von Feingold Research bringt den Aufschwung an der Börse wie folgt auf den Punkt: Viele Unternehmen hätten Inflation und steigende Preise genutzt, was zu höheren Gewinnen geführt habe. Gleichzeitig seien viele Investoren der Entwicklung hinterhergelaufen und würden nun fast schon zum Handeln gezwungen. Dem stünden die deutlich gestiegenen Zinsen gegenüber, und das bei bestenfalls mittelmäßigen Wirtschaftsdaten. Saurenz sieht daher den „Dax oberhalb von 16 000 als klare Wette darauf, dass eine Rezession ausfallen wird“. Aktuell würden nur noch überschaubare Risiken in die Kurse eingepreist. „Das könnte sich 2023 allerdings noch als Problem erweisen. Erst einmal ist aber Partytime.“
MICHAEL SCHILLING