München – Die Strompreise sind deutlich gefallen – aber immer noch doppelt so hoch, wie vor der Krise. Deshalb will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die energieintensive Wirtschaft mit einem Industriestrompreis schützen: sechs Cent die Kilowattstunde für 80 Prozent des Verbrauchs. Manfred Gößl geht das nicht weit genug. Der Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages fordert Stromsubventionen für alle: „Sie verlieren enorm an Akzeptanz für die Energiewende, wenn sie nur eine kleine Gruppe von Unternehmen bezuschussen, aber die restlichen 99,9 Prozent der Unternehmen außen vor lassen“, kritisiert Gößl Habecks Vorschlag.
„Für die Energiewende muss CO2-Ausstoß schrittweise teurer werden, das passiert schon, das tragen wir als Wirtschaft auch mit. Was fehlt, sind entschlossene Schritte, Strom generell günstiger zu machen und damit die Umstellung auf die elektrische Energieversorgung in der Produktion, im Verkehr und beim Heizen anzustoßen. Nicht nur die Chemieindustrie muss auf Strom umstellen, sondern auch der mittelständische Zulieferer, die Molkerei oder der Bäcker von nebenan.“ Aber derzeit lägen die Strompreise noch auf dem Doppelten des Vorkrisenniveaus und gehören zu den höchsten der Welt. „Dieses Niveau hält unsere Wirtschaft im Wettbewerb mit anderen Standorten in Europa, in den USA oder Asien auf Dauer nicht durch.“
Deshalb fordert Gößl einen dreistufigen Plan: „Aktuell liegt die Stromsteuer bei 2,05 Cent pro Kilowattstunde. Nach europäischem Recht darf sie für die Wirtschaft auf 0,05 Cent und für Privathaushalte auf 0,1 Cent abgesenkt werden.“ Zwei Cent pro Kilowattstunde weniger durch niedrigere Steuern und ein weiterer Cent weniger durch die Abschaffung von Umlagen wären eine spürbare Erleichterung von insgesamt rund zehn Milliarden Euro für Unternehmen und Haushalte in Deutschland. Das würde Anreize vergrößern für die Anschaffung von PV-Anlagen, Wärmepumpen, E-Autos und anderen strombasierten Lösungen.
„Der zweite Schritt wäre die Förderung von Direktstromlieferverträgen“, so Gößl. Das sind Verträge, die direkt zwischen dem Anlagenbetreiber – in diesem Fall grüner Kraftwerke – und einem Industriekunden geschlossen werden: „Würde man diese Verträge zwischen Stromverbrauchern aus der Wirtschaft und Anlagenbetreibern von Erneuerbaren Energien mit Investitionszuschüssen fördern, würde der Strom insgesamt sauberer, sicherer und billiger. Dem Anlagenbetreiber gibt es ebenfalls eine klare Perspektive und Investitionssicherheit. Wir bringen dadurch mehr Erneuerbare Energien mit mehr Planungssicherheit in den Markt. Außerdem ist ein Investitionszuschuss schnell wirksam und mit dem EU-Rechtsrahmen vereinbar. Die Investitionszuschüsse könnten pro Jahr eine Größenordnung von fünf Milliarden Euro betragen.
„Schließlich brauchen wir als dritte Stufe für einige Jahre einen Industriestrompreis für die besonders energieintensive Industrie, um die Abwanderung einzudämmen, die schon eingesetzt hat.“ Dabei sei es, wie von Habeck geplant, sinnvoll, nur 80 Prozent des Verbrauchs zu stützen, um Sparanreize zu erhalten: „Ob es am Ende vier, fünf oder sechs Cent je Kilowattstunde netto sein werden, also ohne Steuern, Umlagen und Netzentgelte, ist Teil von Verhandlungen und Kompromissen.“
Die Gesamtkosten für das Drei-Stufen-Konzept schätzt der IHK-Chef auf 20 Milliarden Euro im Jahr. Der vom Wirtschaftsministerium anvisierte Industriestrompreis läge etwa bei einem Viertel. Für Gößl wäre das Geld gut investiert: „Das ist keine Entscheidung, die wir in zwei oder drei Jahren brauchen, sondern jetzt, da müssen sich dann alle Parteien dahinter stellen.“ Denn: „Wenn wir nicht alle mitnehmen auf dem Weg der Energiewende, sondern nur kleine Gruppen begünstigen, wird die Mehrheit der Menschen und der Unternehmen sich dagegenstellen, das Thema ewig zerredet und am Ende passiert gar nichts – auf diesem Weg sind wir aber gerade. Wir brauchen ein energiepolitisches Gesamtkonzept. Ein Industriestrompreis allein wäre zu kurz gesprungen“, meint Gößl.