München – Hilflos blickt Andrea G. zu Richter Markus Födisch auf. „Ich kann verstehen, dass Sie das für unplausibel halten, aber es war so“, sagt die frühere Chefjuristin des Skandalkonzerns Wirecard, dessen Pleite Mitte 2020 vor dem Landgericht München seit Ende vorigen Jahres verhandelt wird. Sie sagt seit Stunden als Zeugin aus und versucht gerade zu erklären, warum sie als Leiterin der Rechtsabteilung seinerzeit ein Schreiben formuliert hat, das die angebliche Werthaltigkeit eines Händlerportfolios dokumentieren sollte, das über Wirecard seine Geschäfte abgewickelt haben soll. Denn im Kern des Strafprozesses geht es darum, ob es solche Händlerbeziehungen und Geschäfte überhaupt gab oder ob sie größtenteils frei erfunden waren.
Aber G. kann wenig wirklich plausibel erklären. Richter Födisch vermutet, dass das von ihr formulierte Dokument nachträglich dazu dienen sollte, Wirtschaftsprüfern Existenz und Werthaltigkeit von Händlerbeziehungen vorzugaukeln. Aber dazu kann G. nichts sagen. Nicht einmal vom nachträglichen Charakter des Schreibens will sie gewusst haben.
Ein anderes Mal geht es um die Werthaltigkeit von Forderungen in fragwürdigen Verträgen, die Ermittler ans Tageslicht befördert haben. Dazu präsentiert Födisch der Zeugin Schriftstücke, die echte Werthaltigkeit stark bezweifeln lassen. „Wenn ich das gelesen hätte, hätte ich auch meine Zweifel gehabt“, zieht sich die Ex-Chefjuristin aus der Affäre. Als Mitarbeiterin „13 oder 14“ war sie von Anfang an dabei. An anderer Stelle wird sie wirklich zu einer Art Belastungszeugin für den früheren Wirecard-Chef Markus Braun, der zusammen mit dem Ex-Chefbuchhalter Stefan von E. und dem Wirecard-Statthalter in Dubai, Oliver Bellenhaus, wegen Betrug und anderer Delikte auf der Anklagebank sitzt.
Einmal habe Braun sie aufgefordert dafür zu sorgen, dass Wirecard eine Klage nicht zugestellt wird. Das war aber bereits geschehen, was der Konzernchef nicht wahrhaben wollte. „Er hat eine kreative Lösung verlangt“, schildert G. den Fall. Es sei nichts mehr zu machen, habe sie Braun damals erklärt. „Es hat etwas mit dämlich zu tun“, schrieb ihr dieser dann in einem Chat, der in die Gerichtsakten Einzug gefunden hat.
Es sei nicht das einzige Mal gewesen, dass Braun sie herablassend und despektierlich behandelt habe, erklärt die Ex-Chefjuristin. Recht und gesetzestreues Verhalten, das im Fachjargon Compliance heißt, habe bei ihm keinen großen Stellenwert gehabt. Compliance sei ein „Scheiß“, gibt sie Brauns Worte wieder und erzählt von rückdatierten Verträgen oder Aufsichtsratsprotokollen. Braun sei es vor allem darauf angekommen, dass Geschäftsprognosen erfüllt wurden, um die Börse zu beeindrucken. Mahnungen, es könne nicht nur immer um den Aktienkurs gehen, sondern es müsse auch ordnungsgemäß gemanagt werden, verhallten dagegen ungehört.
So seien Geschäftserfolge verkündet worden, bevor die Verträge dazu überhaupt geschlossen waren, erzählt G. aus der Wirecard-Praxis. Das sei von Braun so gewünscht gewesen. Von der Rechtsabteilung formulierte Pflichtmitteilungen an die Börse habe er regelmäßig abgeändert vor allem mit dem Aktienkurs im Blick. Ihr persönlicher Eindruck sei es auch, dass das sogenannte Drittpartnergeschäft mit dubiosen Firmen in Asien, auf das am Ende der ganze Gewinn und große Teile des Umsatzes von Wirecard entfallen sein sollen, nie existiert habe.
Kleinlaut wird die Ex-Chefjuristin dann wieder, als ihr Richter Födisch ihre eigene Beteiligung an der Suche nach einem Strohmann für ein Unternehmen vorhält, die G. als „Strohfirma“ bezeichnet. Das sei ihr damals nicht so kritisch vorgekommen, sagt die Zeugin heute. Unter anderem hatte sie den als Kronzeugen dienenden Mitangeklagten Bellenhaus gebeten, sich pro forma als Geschäftsführer dieser Firma zur Verfügung zu stellen. Dessen schriftliche Antwort ist in den Gerichtsakten dokumentiert. „Auf keinen Fall, das wäre Selbstmord. Wir haben doch genug Strohmänner, die nichts zu verlieren haben“, schrieb Bellenhaus damals.