Wie der Wasserstoff nach Bayern kommt

von Redaktion

VON MATTHIAS SCHNEIDER

München – Wasserstoff soll als leistungsstarker und flexibler Energieträger jene Nischen füllen, die Strom nicht bedienen kann. Durch die hohen Umwandlungsverluste ist Wasserstoff aus heimischer Produktion aber oft um ein Vielfaches teurer als elektrische Energie. Der Plan ist deshalb: Große Mengen Wasserstoff aus den Regionen importieren, wo er sich günstig erzeugen lässt. Die Pläne dafür nehmen gerade so richtig Fahrt auf – und Bayern soll eine wichtige Rolle spielen.

„Wir wollen schon Ende 2025 die erste Wasserstoffleitung in Betrieb nehmen“, erklärt Richard Unterseer, Leiter Netzstrategie und Innovation bei der bayernnets. Die Tochter der Stadtwerke München betreibt einen Großteil des bayerischen Gasfernleitungsnetzes, also jene Pipelines, über die Erdgas importiert und in die Verteilnetze gespeist wird. Der Netzbetreiber will seine Erdgasleitungen Stück für Stück auf Wasserstoff umwidmen. „Das erste Stück wird circa 14 Kilometer lang sein und im Chemiedreieck Burghausen einen Wasserstofferzeuger und einen Verbraucher verbinden.“

Doch bisher ist alles noch im Versuchsstadium. Damit der Wasserstoff ab den 2030er-Jahren in industrietauglichen Mengen transportiert werden kann, hat die Bundesregierung dieses Jahr einen gesetzlichen Grundstein gelegt: „Wir Fernleitungsnetzbetreiber ermitteln gerade Vorschläge für das sogenannte nationale H2-Kernnetz“, erklärt Richard Unterseer. Mit dieser Basisinfrastruktur sollen Erzeuger und Großverbraucher wie Industrie und Gaskraftwerke angebunden werden. „Von dort aus soll das Wasserstoffnetz dann organisch nach den regionalen Bedarfen weiterwachsen“, erklärt Unterseer. „Das brauchen wir, um auch den Mittelstand mit Wasserstoff zu versorgen.“

Unterseer sieht gute Chancen, dass Bayern von Anfang an dabei ist: „Wir haben viel energieintensive Industrie, die versorgt werden muss – und die Anbindung an wichtige internationale Importrouten“. Eine davon soll künftig nach Tunesien führen, wo sich Wasserstoff günstig erzeugen lässt. „Erst Anfang Mai haben die Energieminister von Deutschland, Österreich und Italien beschlossen, dass der South2-Korridor beschleunigt werden soll“, erklärt Netz-Chef Unterseer. Diese Pipeline soll künftig Wasserstoff nach Bayern bringen.

„Das zweite wichtige Projekt ist die Umstellung bestehender Erdgas-Leitungen aus Richtung Osteuropa auf Wasserstoff“, so Unterseer. Über die kam früher vor allem Gas aus Russland. Perspektivisch sollen hier mögliche Wasserstoffquellen in Griechenland und Rumänien erschlossen werden – und in der Ukraine: „In der Ukraine gibt es große Flächen, auf denen nach dem hoffentlich baldigen Ende des Krieges Strom aus Wind und Sonne erzeugt werden kann“, erläutert Unterseer.

Das bayerische Wasserstoffübertragungsnetz – HyPipe Bavaria genannt – soll Teil einer europäischen Infrastruktur werden: „HyPipe Bavaria wird Teil des European Hydrogen Backbone, also das Wasserstoff-Rückgrat Europas“, so Unterseer. Dafür sollen die künftigen großen Wasserstoffquellen angebunden und verknüpft werden. Neben Nordafrika und Osteuropa sind das auch das Baltikum, die Nordsee und die iberische Halbinsel. Das Startnetz soll 2032 in Betrieb gehen.

Doch noch ist die Erzeugung von Wasserstoff ein Henne-Ei-Problem: Wenn niemand ihn kauft, baut keiner Kraftwerke, und ohne Angebot rüstet niemand seine Anlagen um. Dieses Problem soll Timo Bollerhey lösen. Er leitet die Agentur H2Global, die für den Bund den Wasserstoffmarkt hochfahren soll: „Wir treten am Markt als Händler auf: Das heißt wir prüfen aktuell in einem Bieterverfahren, wer uns grünen Wasserstoff am günstigsten liefern kann. Demjenigen bieten wir einen Abnahmevertrag über zehn Jahre – mit dieser Sicherheit kann er dann die Anlage bauen“, erklärt Bollerhey.

Für den ersten Einkauf stellt der Bund 900 Millionen Euro zur Verfügung. Erst im zweiten Schritt werden Käufer in Deutschland gesucht. „Das wird ab 2024 passieren.“ In der ersten Ausschreibung geht es um Derivate, also chemische Verbindungen auf Wasserstoffbasis, darunter Kerosin, die die Industrie ohne Umstellung nutzen kann.

„Im Sommer wird dann das Bundeswirtschaftsministerium über die zweite Einkaufsrunde von 3,53 Milliarden entscheiden“ so Bollerhey. „Da kann man dann einen strategischen Fokus setzen, etwa ob man bestimmte Regionen bevorzugen oder auch reinen Wasserstoff kaufen will.“

Für Bollerhey ist die große Herausforderung, dass er die Katze im Sack kaufen muss: „Uns gibt es ja, damit die für die Produktion von Wasserstoff notwendigen Kapazitäten für Erneuerbare Energie und die Elektrolyse überhaupt gebaut werden. Deshalb arbeiten wir mit Prüfgesellschaften wie dem TÜV zusammen, um die technische Auslegung der Gebote auf ihre Realisierungswahrscheinlichkeit und Konformität mit den geforderten Anforderungen hin zu überprüfen.“

Das deutsche Projekt stößt in Europa auf Interesse: „Auch die Niederlande wollen ihren Wasserstoff-Hochlauf jetzt über H2Global steuern“, sagt Bollerhey. „Der Plan der Bunderegierung und der EU-Kommission ist, das H2Global zukünftig auch eine weitere europäische Dimension bekommt, etwa als Teil der Europäischen Wasserstoffbank.“

Die ersten Derivat-Lieferungen könnten Europa dann schon ab 2025 erreichen. „Bis Wasserstoff über Pipelines geliefert werden kann, wird es wohl noch einige Jahre länger dauern.“

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