Nürnberg – Die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist meist träge. Sie folgt der Konjunktur mit Verzögerung und orientiert sich stark an saiso- nalen Einflüssen. Im Juni – das ist fast ein Gesetz – sinkt die Zahl der Arbeitslosen, weil die Wirtschaft vor der Sommerpause noch einmal Gas gibt. Diesmal ist es anders: Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland stieg im Juni im Vergleich zum Mai um 11 000 auf 2,555 Millionen. Das sind 192 000 Arbeitslose mehr als vor einem Jahr. In Bayern sind derzeit rund 244 000 Menschen arbeitslos, 1219 mehr, als im Vormonat . Die Arbeitslosenquote sank damit im Vergleich zum März nur um 0,1 Prozent auf 3,3 Prozent.
Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, macht das skeptisch. „Zum Ausklang der Frühjahrsbelebung, die schon schwach war, prägt Vorsicht und Zurückhaltung das Bild am deutschen Arbeitsmarkt“, sagte sie am Freitag in Nürnberg. „Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit im Juni kommt wirklich nur in Ausnahmefällen vor“, betonte sie. Und auch für die nähere Zukunft macht die Arbeitsmarktexpertin wenig Hoffnung. „Wir rechnen mit einem Anstieg in den nächsten Monaten“, sagte sie. Wie stark, werde man sehen. Nahles legte jedoch Wert auf die Feststellung, es handele sich nicht um eine „krasse“, aber um eine „merkliche“ Veränderung.
Nahles machte vor allem die Konjunkturflaute für die Situation verantwortlich. „Die schwierigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen spüren wir nun auch auf dem Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosigkeit steigt, und das Beschäftigungswachstum verliert an Schwung.“ Die Bundesagentur griff für die Juni-Statistik auf Datenmaterial zurück, das bis zum 13. Juni zur Verfügung stand. Als beunruhigend wird vor allem empfunden: Jeder dritte Arbeitslose gilt als langzeitarbeitslos, insgesamt 908 000, 30 000 mehr als im Mai.
Um diesen Personenkreis zurück in den Arbeitsmarkt zu bekommen, wurde das neue Bürgergeld eingeführt, dessen zweite Stufe am Samstag in Kraft tritt. Ob der neue „Instrumentenkasten“, wie Nahles es nennt, wirksam greift, ist nicht sicher. Es hängt am Geld, das im Bundeshaushalt für den sogenannten Eingliederungstitel zur Verfügung steht. Nahles hofft auf den Bundestag, dort will sie nun Überzeugungsarbeit leisten und weitere Millionen locker machen.
Monatelang war es der Zufluss von Ukraine-Flüchtlingen, der die Arbeitsmarktstatistik negativ beeinflusste. Inzwischen ist es anders: Auch ohne die Berücksichtigung der Flüchtlinge wäre die Arbeitslosigkeit im Juni gestiegen, so Nahles. Inzwischen sind 87 000 Ukrainerinnen in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 27 000 haben einen Minijob. Insgesamt hat die Bundesagentur 691 000 Ukrainerinnen und Ukrainer in der Statistik, davon 229 000 Kinder und 479 000 Erwerbstätige.
Ungeachtet der konjunkturellen Probleme herrscht in Deutschland Personalmangel. „Der Fachkräftemangel bleibt im historischen Vergleich weiter auf sehr hohem Niveau“, sagte die Chefvolkswirtin der staatlichen Förderbank KfW, Fritzi Köhler-Geib. Abhilfe gibt es derzeit fast ausschließlich durch Zuzug. Die Zahl der offenen Stellen lag im Juni mit rund 769 000 zwar um mehr als 100 000 niedriger als vor einem Jahr.
Nahles betonte aber: „Das Risiko, arbeitslos zu werden, ist weiterhin sehr niedrig.“ Weiter sei eine relativ hohe Zahl von Arbeitsstellen unbesetzt. Die Arbeitgeber hätten auch ihre Taktik bisher nicht geändert, es gebe auch weiterhin Halteeffekte. Allerdings sei es für Arbeitslose auch deutlich schwieriger geworden, einen neue Job zu finden.