„Geld aus China ist gefragt“

von Redaktion

INTERVIEW Asien-Experte über die Seidenstraßen-Strategie Chinas und Russlands Rolle darin

Die westlichen Industrieländer wollen sich zunehmend von China lösen – doch das Reich der Mitte weitet seinen Einfluss strategisch aus. Der Autor und Journalist Philipp Mattheis hat gut sechs Jahre in China gelebt. In seinem neuen Buch „Die dreckige Seidenstraße“ beleuchtet er die Strategie der Kommunistischen Partei (KP). Im Interview erklärt er, wie riskant der Einstieg Chinas im Hamburger Hafen ist, welche Rolle Russland für das Reich der Mitte spielt und weshalb europäische Entwicklungskredite in afrikanischen Ländern unbeliebt sind.

Herr Mattheis, was ist die Neue Seidenstraße?

Die Neue Seidenstraße ist ein geostrategisches Projekt der Kommunistischen Partei Chinas, das – so die Propaganda – auf dem historischen Handelsweg nach Europa aufbaut. In erster Linie handelt es sich um Infrastrukturprojekte, die China finanziert. Die KP versucht, über Zugstrecken, Häfen und Straßen neue Märkte für den Handel zu erschließen. Ein Vorzeigeprojekt ist etwa die Zugstrecke, die von China über Kasachstan und Russland nach Duisburg führt.

Infrastruktur bauen, Beteiligungen erwerben, Märkte erschließen – klingt doch eigentlich normal. Weshalb wird die Neue Seidenstraße im Westen weitgehend kritisch gesehen?

In vielen Ländern entsteht durch die Infrastrukturprojekte eine Schuldenabhängigkeit, da geht es vor allem um Länder des globalen Südens. Ein besonderes Negativbeispiel ist Sri Lanka: Hier konnte der Staat die Kredite für einen Hafen nicht mehr bedienen und musste ihn dann für 99 Jahre an China verpachten. Oder auch Laos, wo China eine Bahnstrecke durch das ganze Land gebaut hat. Allein die Zinszahlungen dafür nehmen inzwischen einen großen Teil des laotischen Haushalts ein.

Bringt die finanzielle Abhängigkeit der KP auch politischen Einfluss?

Das lässt sich schwer festmachen, es geht eher um ein grundsätzliches Wohlwollen gegenüber China. Das lässt sich an Kleinigkeiten sehen: In Kenia zum Beispiel sind chinesische Staatsmedien aktiv und berichten im Sinne Pekings. Besonders auffällig ist es in der islamischen Welt: Gerade Länder wie die Türkei oder Saudi-Arabien, die sonst oft öffentlichkeitswirksam die Solidarität unter den Muslimen beschwören, sind verdächtig zurückhaltend, wenn es um die Menschenrechtsverletzungen an den Uighuren geht. In der Taiwan-Frage ist es sehr ähnlich.

Saudi-Arabien schwimmt doch in Petro-Dollars – wo ist die Abhängigkeit?

Da geht es vor allem um fossile Energieträger. Saudi Arabien fühlt sich von den USA zurückgestoßen, und China braucht große Mengen Öl für seine Wirtschaft. Man will etwa optimieren, wie abgerechnet wird. Es gibt erste Projekte, in denen China sein Öl nicht mehr in Dollar, sondern in heimischer Währung bezahlt. Das bringt Vorteile beim Import.

Auch in Osteuropa gibt es chinesische Projekte. Wie groß ist die Gefahr der Abhängigkeit?

Es gibt große Bahn- und Straßenprojekte in Serbien, Montenegro, Ungarn und – ganz prominent – der Einstieg der Chinesen im Athener Hafen Piräus. Es ist sicher wichtig, das kritisch zu betrachten, aber die Gefahr ist nicht so groß wie etwa in Afrika. Einfach, weil die Projekte einen geringeren Teil am Haushalt ausmachen und es weniger Korruption, mehr Rechtsstaatlichkeit gibt.

Emotional wurde der Einstieg Chinas am Hamburger Hafen diskutiert – was kann denn passieren?

Nicht viel, gerade die Geschichte in Hamburg ist in den Medien vielleicht auch etwas dämonisiert worden. In Piräus läuft es relativ gut, sogar die linken Gewerkschaften sagen, dass sie mit den Arbeitsbedingungen zufrieden sind. Und selbst wenn es zum Schlimmsten kommt, könnte China nicht viel machen: Dann übernimmt eben der Staat die Kontrolle über den Hafen, mit der russischen Gazprom Germania hat es ja auch funktioniert. Man muss immer sehen, wie viel Schaden China im Eskalationsfall tatsächlich anrichten könnte. Deshalb finde ich es auch richtig, dass Huawei nicht unser 5G-Netz ausrüsten darf – weil China da sensible Daten abschöpfen könnte.

China erschließt viele rohstoffreiche Länder – was bedeutet das für Europa?

In Zentralasien geht es vor allem um Öl, das ist bei uns gerade weniger gefragt. In Afrika geht es um Metalle wie Kobalt und Kupfer, die wir unter anderem für die Energiewende brauchen. In den letzten 20 Jahren war das kein Problem. Gerade mit den neuen geopolitischen Spannungen in der Ukraine und Taiwan müssen wir uns aber die Frage stellen, warum wir uns von Russland unabhängig machen, gleichzeitig aber immer mehr auf das noch autoritärere System setzen.

So gut scheint es aber nicht zu laufen, China musste diverse Kreditausfälle verschmerzen. Geht es jetzt vorsichtiger vor?

Die Schuldenkrise hat natürlich auch Länder des globalen Südens erfasst. Aber auch China hat mehr Probleme als vor zehn Jahren, Stichwort Immobilienkrise und Überalterung. Das Geld sitzt also nicht mehr so locker. Dazu kommt, dass die Projekte – bis auf Energiepipelines – kaum rentabel sind. Seit 2018 gehen die Neuinvestitionen deshalb deutlich zurück. Besonders in den letzten zwei Jahren ist Geld ja teurer geworden, das macht Projekte schwieriger, die kaum Rendite abwerfen.

Wie geht es jetzt weiter?

China ist vorsichtiger geworden. Ich denke, die Zeit der Großbauprojekte ist erst mal vorbei, auch um Risiken besser absichern zu können. Es wird aber weiter gezielte Projekte geben, wie die sogenannte Digitale Seidenstraße. Da geht es dann etwa darum, eigene Mobilfunkstandards durchzusetzen, damit nicht nur die USA und Europa hier den Ton angeben.

Gibt es eine Blockbildung?

Nicht so homogen, wie es im Kalten Krieg war, aber China macht für viele Länder einen Gegenpol zum Westen auf. Man darf nicht vergessen: Das Geld aus China ist ja nur deswegen so gefragt, weil der Bedarf an Infrastruktur so groß ist. Spricht man in Afrika mit Funktionären, sagen viele, dass europäische Kredite an Auflagen in Sachen Menschenrechte und Umweltschutz gebunden sind – chinesisches Geld nicht. Und für viele Schwellenländer ist der US-Dollar die Leitwährung. Damit ist man aber voll abhängig von der US-Zinspolitik – darauf haben viele keine Lust mehr. Die Erwartungen an China in vielen Schwellenländern sind sicher überzogen, aber sie sind da.

China ist auch Putins letzter großer Verbündeter. Ist das Teil der Strategie?

Russland will China gern als Verbündeten sehen, aber die Abhängigkeit ist ziemlich einseitig. Wir sehen es schon heute in Zentralasien, traditionell der Hinterhof Russlands. Inzwischen ist der chinesische Einfluss aber viel größer. Der Handel ist ganz klassisch: billige fossile Energie gegen chinesische Kredite und Industrieprodukte. Und es sieht so aus, als würde auch Russland diesen Weg gehen.

Interview: Matthias Schneider

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