„Der Winter wird eine Herausforderung“

von Redaktion

INTERVIEW Netzagentur-Chef Klaus Müller über Gas-Engpässe und Hoffnung beim Strompreis

München – Noch vor wenigen Monaten hat Deutschland eine der schwersten Energiekrisen seiner Geschichte erlebt. Doch wie geht es jetzt weiter? Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, erklärt im Interview, ob die Kohlekraftwerke 2030 abgeschaltet werden und wie Elektroautos in zwei Jahren günstiger tanken sollen.

Herr Müller, 2022 waren die Speicher leer und Russland hat kein Gas geliefert. Wie stehen wir heute da?

Die Bundesregierung hat sehr viel aufs Gleis gesetzt und wir hatten ein Quäntchen Glück mit dem Wetter. Unterm Strich kann man sagen: Die Wohnzimmer sind warm geblieben und die Gasmangellage ist – auch aufseiten der Industrie – ausgeblieben. Das ist auch dank unserer europäischen Nachbarländer gelungen. Manche haben Gas gespart, andere mehr geliefert, wie etwa Norwegen. Dazu kommt, dass wir 2022 die Speicher gefüllt hatten. All das hat uns gut über den Winter gebracht und sicher auch dazu beigetragen, dass die Preise jetzt fast wieder auf Vorkrisenniveau gesenkt wurden.

Ein Teil des Gases musste Deutschland verstromen, um Frankreich mit Strom auszuhelfen, weil dort zeitweise die Hälfte der Atomkraftwerke stillstand. Ist das dieses Jahr auch so?

Aktuell sind die französischen AKW über dem prognostizierten Stand. Es gibt aber zwei Unsicherheitsfaktoren: Die AKW leben sehr stark vom Kühlwasser. Je nach Niederschlag im Sommer kann das die Funktion einschränken. Der andere ist die technische Verfügbarkeit – auch die kann man nicht leicht voraussehen.

Die deutschen AKW wurden im April abgeschaltet. Was waren die Folgen?

Es hat sich weder bei den Preisen, noch bei der Versorgungssicherheit negativ ausgewirkt. Strom aus Wind und Sonne haben die Lücke geschlossen. Für eine seriöse Einschätzung, welche Erzeugungsart in den kommenden Monaten übernimmt, sind knapp drei Monate Erfahrung aber zu kurz.

Werden wir die AKW im Winter vermissen?

Nein, davon gehe ich nicht aus. Die Übertragungsnetzbetreiber haben uns gemeldet, dass wir in Sachen Stromerzeugung und Verteilung auch ohne die AKW gut durch den Winter kommen können. Wir haben genug Strom. Es geht hier darum: Welchen Strom haben wir an der richtigen Stelle zur richtigen Uhrzeit.

Wie wird der kommende Winter in Sachen Gas?

Er ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Auch wenn die Speicher für die Jahreszeit schon gut gefüllt sind, bleiben Unsicherheiten. Russland liefert weiterhin Gas nach Südost-Europa, und wir wissen nicht, ob Putin hier vertragstreu bleibt. Andererseits haben wir inzwischen drei LNG-Terminals und wir gehen davon aus, dass sie noch dieses Jahr um weitere ergänzt werden.

Experten sehen die LNG-Exportkapazitäten 2023 weltweit am Limit. Könnten wir überhaupt genug Gas kaufen?

Das ist richtig, deshalb kommt es jetzt auf die Nachfrage an – und ich traue mir nicht zu, die chinesische Wirtschaftsentwicklung im Winter vorauszusagen. Sollte es zu mengenmäßigen Knappheiten kommen, würden höhere Preise – wie wir es 2022 leider schon erlebt haben – die Nachfrage entsprechend drosseln.

Es sind also wieder Mondpreise möglich?

An den Großhandelsmärkten ist das nicht unmöglich. Für Verbraucher würden sie aber durch die Preisbremsen gedämpft, die noch bis April 2024 in Kraft sind.

Die Ampel macht Druck beim Ausbau der Erneuerbaren. Wie geht es voran?

Bei Photovoltaik und teilweise auch Biomasse sehen wir einen erfreulichen Boom. Das ist gut, weil es die Stromerzeugungskosten senkt. Das können wir für Wind an Land so leider noch nicht sagen. Aus der Branche hören wir vor allem, dass es an langen Genehmigungsverfahren und fehlenden Flächen liegt. Zwar hat die Bundesregierung beschlossen, dass zwei Prozent der Fläche für Windkraft bestimmt sein sollen, aber die Ziele liegen in der Zukunft, gerade hängt es von den Bundesländern ab, ob sie die Flächen jetzt schon ausweisen.

Für Windkraft auf See scheint es besser zu laufen, für die aktuelle Ausschreibung wurde gar keine Förderung mehr beantragt.

Ja. Wir haben schon bei den letzten Ausschreibungen sowohl genügend Interesse gesehen, als auch Angebote ohne Förderung. Das ist ja das große Versprechen der Energiewende: Dass Strom grüner und auch günstiger wird. Aktuell versteigern wir die Flächen meistbietend, weil es viele Interessenten gibt, die keine Förderung für ihre Offshore-Windräder wollen.

Noch brauchen wir konventionelle Kraftwerke, um jederzeit Strom zu erzeugen. Wie lautet die Speicherstrategie für grünen Strom?

Es gibt mindestens drei Stränge. Wir sehen Investitionen in Speichertechnologie, insbesondere bei Batterien. Dazu kommt der private Bereich, also PV-Speicher und E-Autos. Zusätzlich genehmigen wir innovative Konzepte, wie den Netzbooster, die zwar nicht der Speicherung grünen Stroms, sondern der effizienteren Netzführung dienen, die aber einen Schub auslösen sollten bei der Entwicklung großer, leistungsfähiger Batteriestandorte. Und dann gibt es das große Thema Wasserstoff: Um Strom im industriellen Maßstab zu speichern, brauche ich Moleküle. Erst kürzlich hat die Bundesregierung ein Gesetz für ein Wasserstoffstartnetz verabschiedet, das die Verteilung und Importe ermöglichen wird. Wir wollen noch dieses Jahr mit den Gasnetzbetreibern einen Plan ausarbeiten.

Wasserstoff hat relativ große Umwandlungsverluste. Wird das nicht zu teuer?

Gerade erst an Pfingsten hatten wir so viel grünen Strom im System, dass die Börsenstrompreise deutlich negativ waren. Das klingt absurd, ist aber ein Marktsignal, das uns zeigt, dass wir in manchen Phasen Strom haben, den wir nicht sinnvoll nutzen können. Wenn wir diesen Überschussstrom zu Wasserstoff verarbeiten, ist das trotz der Umwandlungsverluste eine gute Sache.

Schaffen wir damit den Kohleausstieg 2030?

Wir haben berechnet, was es dafür braucht: Ausbau der Erneuerbaren, der Netze, Europäisierung, Digitalisierung, Flexibilisierung. Das bedeutet jedes Jahr vier Gigawatt Wind, neun Gigawatt Photovoltaik. Und bis 2030 insgesamt 21 Gigawatt wasserstofffähige Gaskraftwerke für Dunkelflauten. Die Bundesregierung will zeitnah die Rahmenbedingungen für die Kraftwerksstrategie festlegen, dann können Unternehmen investieren. Wenn uns das alles gelingt, können wir die Kohlekraftwerke bis 2030 abschalten.

Warum ist Strom auch teuer, wenn in Norddeutschland der Wind kräftig weht?

Oft, wenn der Wind im Norden stark bläst und die Strompreise in den Keller gehen, müssen wir für Süddeutschland zum Beispiel Wasserstrom aus Österreich und der Schweiz zukaufen – was wir teuer bezahlen. Gleichzeitig müssen dann die Windräder im Norden abgeregelt werden. Das liegt daran, dass wir das Überangebot ohne neue Stromleitungen nicht zu den industriellen Verbrauchern bekommen.

Diese Stromtrassen hätten 2022 stehen sollen, wurden aber politisch blockiert. Wann kommen sie?

Wir werden in den nächsten zweieinhalb Jahren Baugenehmigungen für tausende Kilometer Leitung erteilen. Wir können uns auf den bisherigen Zeitplänen aber nicht ausruhen, weil zu wenig Netzausbau zu teuer ist. Entscheidend sind deshalb drei Beschleunigungsgesetze, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat.

Manchmal wird der Anschluss für E-Autos und Wärmepumpen verwehrt. Wie kann das sein?

Weil die örtlichen Netze an manchen Stellen zu schwach sind. Wir arbeiten gerade an einer Regulierung, um einen Anspruch auf den Anschluss von Wärmepumpen und E-Autos zu ermöglichen. Um in Extremsituationen das Netz vor Schäden zu bewahren, würden wir den Netzbetreibern dann erlauben, die Leistung kurzzeitig zu dimmen. Gleichzeitig wollen wir finanzielle Anreize schaffen, dass Menschen ihren Stromverbrauch in Zeiten verlagern, in denen keine hohe Belastung des Netzes auftritt. Das größte Potenzial einer solchen Flexibilisierung des Verbrauchs liegt aber im industriellen Bereich. Kurzzeitige Lastspitzen sind am Strommarkt oft die teuersten Kontingente. Ein modernes Stromnetz müssen wir uns flexibel auf der Erzeugungs- und auf der Nachfrageseite vorstellen. Einfach weil wir als Volkswirtschaft durch kluges Lastmanagement viel Geld bei der Stromerzeugung sparen können.

Können auch Verbraucher davon profitieren?

Ja, das ist uns sogar ganz wichtig: In unserem Regulierungsentwurf sehen wir ermäßigte Netzentgelte für den Anschluss von E-Autos und Wärmepumpen vor. Einen entsprechenden Vorschlag haben wir kürzlich vorgelegt.

Warum hat man damit nicht viel früher angefangen?

Deutschland hat auf der örtlichen Ebene ein „dummes“ Netz. Die Netzbetreiber wissen viel zu wenig über die aktuelle Netzauslastung. Deshalb ist der Einbau von klugen Stromzählern, sogenannten Smart Metern, gesetzlich verpflichtend und vereinfacht worden. Dazu gehört auch die Pflicht für die Versorger, ab 2025 flexible Stromtarife anzubieten, damit die Verbraucher von den Zählern profitieren können. Man orientiert sich damit an den Börsenstrompreisen, kann also versuchen, seine Stromkosten zu optimieren. Hätte man zu Pfingsten sein E-Auto getankt, wäre das sehr viel günstiger gewesen. Allerdings gilt der Flextarif natürlich auch, wenn es besonders teuer ist.

Interview: Matthias Schneider

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