„Stille Enteignung von Hausbesitzern“

von Redaktion

VON SEBASTIAN HÖLZLE

München – Was Claus Lehner, Chef des Münchner Wohnungsunternehmens Dawonia, befürchtet, klingt dramatisch: Es drohe eine „stille Enteignung vieler Immobilienbesitzer“. Hintergrund ist eine geplante Vorgabe der EU zum klimagerechten Wohnen (siehe Artikel unten). Noch ist nicht ganz klar, wie das Gesetz einmal aussehen soll, im Kern geht es um folgende Idee: In Zukunft sollen die Gebäudeeffizienzklassen von A bis G reichen. Geplant ist offenbar, dass bis zum Jahr 2030 Gebäude der schlechten Klassen F und G mindestens auf die Effizienzklasse E kommen, im Jahr 2033 soll der Mindeststandard sogar bei D liegen. Die einzige Möglichkeit, in eine höhere Gebäudeklasse aufzusteigen: Eine kostspielige Sanierung.

Nach Angaben des Eigentümerverbandes Haus & Grund sollen die schlechtesten 15 Prozent der Gebäude in Deutschland der Klasse G zugeordnet werden. Von den 18,9 Millionen Wohngebäude in Deutschland mit über 40 Millionen Wohnungen dürften damit knapp drei Millionen Gebäude unter die Sanierungspflicht fallen.

Dawonia-Chef Lehner findet das nicht nachvollziehbar: „Deutschland verfügt über einen vergleichsweise hochwertigen Immobilienbestand‚ der deutlich besser ist als in vielen anderen europäischen Ländern.“ Nimmt man von diesem eigentlich ganz ordentlichen Gebäudebestand die schlechtesten 15 Prozent, heißt das: „Gebäude, die heute noch okay waren, sind zukünftig ,schlechte‘ Immobilien“, sagt Lehner.

Damit ist die von der EU geplante Sanierungswelle aber längst nicht am Ende. Wenn ab dem Jahr 2033 der Mindeststandard bei D liegen soll, betrifft das laut Eigentümerverband Haus & Grund 48 Prozent der Wohngebäude in Deutschland. In einem Papier des Verbandes heißt es in Zahlen: „Liegt der Verbrauch einer 80 Quadratmeter großen Wohnung über 1300 Kubikmeter Gas beziehungsweise 1300 Liter Öl pro Jahr oder eines 120 Quadratmeter großen Einfamilienhauses über 2000 Kubikmeter Gas beziehungsweise 2000 Liter Öl pro Jahr, liegt ein Sanierungsfall vor.“

Allein in München müssten laut Haus & Grund nach den geplanten EU-Regeln 400 000 Wohnungen und Häuser saniert oder zumindest teilsaniert werden. Die Rede ist von „umfangreiche Dämmmaßnahmen an der Fassade, des Daches und der Geschossdecken wie auch der Einbau neuer Fenster und Türen mit Dreifach-Wärmeschutzverglasung“.

Bei einem Münchner Mehrfamilienhaus aus den 50er- oder 60er-Jahren könnten inklusive notwendiger Zusatzarbeiten Kosten von 400 000 bis 800 000 Euro entstehen. Für die Beispielrechnungen unterstellt Haus & Grund Mehrfamilienhäuser mit zwölf Wohnungen und 800 Quadratmeter Wohnfläche. „Für Eigentümer von selbst genutzten Häusern und Wohnungen ist dies ebenso unbezahlbar wie für Wohnungseigentümergemeinschaften“, heißt es in dem Papier.

Rudolf Stürzer von Haus & Grund München sagt: „Das ist eine Katastrophe, die nicht nur Wohnungseigentümer betrifft, sondern auch Mieter.“ Mieter müssten angesichts teurer Sanierungen mit noch höheren Mieten rechnen. Hinzu kommt: „Wird eine Wohnung grundsaniert, können Mieter in dieser Zeit nicht in der Wohnung leben“, erläutert Stürzer. Mieter müssten für die Dauer der Sanierung in Hotels oder Ferienwohnungen untergebracht und das Mobiliar müsste eingelagert werden. „Niemand hat sich in Brüssel darüber Gedanken gemacht, wie so ein Gesetz in der Praxis umgesetzt werden soll“, ärgert sich Stürzer.

Auch für Eigentümer älterer Einfamilienhäuser auf dem Land könnte es laut Stürzer teuer werden: „Da können schnell Sanierungskosten von bis zu 150 000 Euro zusammenkommen.“

Sollte das Gesetz in der aktuell diskutierten Form beschlossen werden, rechnet Dawonia-Chef Lehner mit heftigen Verwerfungen auf dem Immobilienmarkt. Er verweist auf Schätzungen, wonach der Wert aller Immobilien in Deutschland bei 6,5 Billionen Euro liege. Wenn rund die Hälfte der Gebäude sanierungspflichtig wird, sind die Folgen seiner Ansicht nach immens. „Das bedeutet, dass von den 6,5 Billionen Euro an Immobilienwerten circa 3,25 Billionen in den nächsten Jahren einer Wertkorrektur, die erheblich ist, unterliegen werden“, rechnet er vor. Insgesamt schätzt er die Sanierungskosten der betroffenen Wohnungsbestände in den kommenden 20 Jahren auf 2,25 bis 3,0 Billionen Euro. „Das allein bedeutet, dass die Eigentümer von Wohnimmobilien niedrigerer Gebäudeenergieklassen bei der Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie mindestens 75 Prozent ihrer Gebäudewerte verlieren werden.“ Wer aktuell eine alte Immobilie im Wert von 500 000 Euro besitzt, dessen Immobilie ist in diesem Szenario in Zukunft nur noch 125 000 Euro wert.

„Im Unterschied zu großen Wohnungsgesellschaften, die bereits mit umfangreichen Sanierungsplänen die Bestände modernisieren und durch ihre Mieterträge refinanzieren – was nicht ohne Belastungen für die Mieterinnen und Mieter bleiben kann – erwischt es den Häuslebauer oder Wohnungsbesitzer kalt“, sagt Lehner. Da in Deutschland in vielen Gebäuden angesichts des geplanten Heizungsgesetzes zusätzlich der Heizungstausch anstehen dürfte, stehen Immobilienbesitzer vor finanziellen Belastungen, die laut Lehner nicht mehr stemmbar sind.

„Das Eigenheim, das über Generationen das Vermögen von Familien dargestellt hat, verliert in diesem Fall seine Funktion als Wertespeicher, der über Generationen weiter gegeben werden konnte“, warnt Lehner. „Die alten Hauseigentümer haben keine Chance, die erforderliche Sanierung mit einem Kredit zu finanzieren.“ Sie verfügten oft auch nicht über die Mittel, Kredite im Alter zu tilgen.

Einen Hoffnungsschimmer gibt es für Betroffene: Noch ist das EU-Gesetz in der Diskussion – und 16 EU-Staaten lehnen die Pläne bisher strikt ab. Auch das von der FDP geführte Bundesjustizministerium ist gegen das Gesetz.

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