„Neue Leitungen senken Strompreise“

von Redaktion

VON MATTHIAS SCHNEIDER

München – Strom aus Wind und Sonne ist unschlagbar günstig. Dadurch kann dieser Strom zeitweise teurere Kraftwerke aus dem Markt drängen und die Energiepreise senken. Doch das scheitert oft an den Leitungen: Der günstige Strom kommt nicht zu den Verbrauchern. Deshalb macht die Ampel Druck beim Netzausbau: Binnen weniger Jahre sollen tausende Kilometer neue Leitung entstehen.

Wie das neue Netz den Strommarkt umkrempeln kann, weiß Kathrin Ballerstein. Sie ist die Chefin der Energienetzplanung beim Übertragungsnetzbetreiber Tennet, einem von vier in Deutschland. Sie betreiben das Höchstspannungsnetz: „Das bedeutet wir verbinden die Erzeuger mit den Verteilnetzen, die die Verbraucher versorgen“, erklärt Ballerstein. Dazu gehört vor allem der Transport über weite Strecken und Landesgrenzen.

Die Übertragungsleitungen sind das Rückenmark des Stromsystems: „Das Netz kann nur eine bestimmte Strommenge transportieren. Wir sorgen dafür, dass dieses Limit nicht übertreten wird und gleichzeitig immer ein Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch herrscht“, so Ballerstein.

Normalerweise funktioniert dieser Ausgleich über einen freien Markt, um die Stromerzeugung kosteneffizient zu gestalten: „Wenn das nicht zusammenpasst, greifen wir ein – das nennt man Redispatch. Das kann bedeuten, dass wir Kraftwerke hochfahren, aber auch abregeln“, erklärt die Planerin.

Das soll aber möglichst selten geschehen: „Grundsätzlich wollen wir das vermeiden, weil ein Redispatch Geld kostet: Laufen Kraftwerke müssen sie bezahlt werden, riegeln wir sie ab müssen die Betreiber auch entschädigt werden.“

Genau hier liegt zu einem Teil die Ursache der hohen Strompreise: „Wir kommen aus einer Zeit der Gebietsmonopole, wo jedes Netz um ein Kraftwerk herum gedacht wurde. Deshalb fehlt es an vielen Übertragungsleitungen, die die neuen Produktionsstandorte mit den Verbrauchern verbinden“, so Ballerstein, „das macht das System ineffizient und teuer.“

Das beste Beispiel hierfür ist das Nord-Süd-Gefälle: „Oft weht an der Küste viel Wind, den Strom können wir aber nicht in den Süden transportieren, wo er gebraucht wird. Deshalb müssen wir etwa in Bayern oft teureren Gas- oder Wasserstrom anfordern.“ Die Windparks müssen derweil abgeregelt werden.

Das bezahlen die Verbraucher: „Die Netzentgelte setzen sich aus den Kosten für den Netzausbau und den Redispatch zusammen. Bei den aktuell hohen Brennstoffkosten ist das extrem teuer.“

Der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren soll diese Kosten verringern: „Die Nordsee wird das grüne Kraftwerk Europas werden, wo relativ konstant günstiger Windstrom erzeugt werden kann“, erklärt Ballerstein.

Aber: „Damit wir den in den Industriezentren nutzen können, müssen wir die Übertragungsleitungen ausbauen.“ Dafür will allein die Tennet in den kommenden Jahren 4000 Kilometer Hochspannungsleitung bauen: „Für Bayern ist besonders der SuedOstLink und SuedLink wichtig, mit denen wir den Freistaat bis 2027 beziehungsweise 2028 mit grünem Strom aus Nord- und Ostdeutschland versorgen.“

Das Versprechen: „Wenn die Leitungen stehen, kann der günstige Windstrom in die bayerischen Industriezentren – das wird die deutschen Strompreise senken.“ Gleichzeitig baut die Tennet stärkere Leitungen nach Österreich um „auch große Mengen Solarstrom in den Pumpspeichern nutzen zu können“.

Für Ballerstein ist der Netzausbau ein Garant dafür, dass der Standort Deutschland wettbewerbsfähig bleibt: „Mit dem Netzausbau werden auch die Netzentgelte im Vergleich zu heute sinken: Weil wir deutlich weniger teure Kraftwerke brauchen, sondern Wind und Sonne besser verteilen können.“

Das große Ziel ist ein effizienter europäischer Markt: „Jede Kilowattstunde die wir besser – oder überhaupt – nutzen, macht den Strom für alle günstiger“, sagt Ballerstein.

Auch Thomas Meerpohl, Beteiligungsmanager der Stadtwerke München hofft auf einen schnellen Ausbau der Leitungen. Denn im deutschen Norden rührt sich Widerstand gegen den einheitlichen Strompreis: „Wegen der fehlenden Kapazitäten kann der günstige Netzstrom nicht nach Bayern. Deshalb hängt immer das Damoklesschwert der unterschiedlichen Strompreiszonen über Deutschland: Die Nordländer hätten dann durch ihre vielen Windräder günstigeren Strom und Bayern mit seinen geringen Erzeugungskapazitäten teureren. Für die Wirtschaft in Bayern wäre das verheerend.“

Die Pläne von Bundeswirtschaftsministerium und Bundesnetzagentur sind ambitioniert: „Der Netzausbau und die Reservekraftwerke sollen – so der Plan – bis 2037 stehen“, erklärt Kathrin Ballerstein. Damit stünde die Infrastruktur für ein klimaneutrales, stabiles Stromnetz. „Der zweite Schritt passiert bis 2045: Da bauen wir dann kaum noch Netze aus, sondern nur noch Flexibilität.“

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