„Eine Zinspause wäre angemessen“

von Redaktion

München – Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zählt zu den wichtigsten Beratergremien der deutschen Politik. Umgangssprachlich werden die Mitglieder als „Wirtschaftsweise“ bezeichnet. Einer davon: Der Wirtschaftswissenschaftler Achim Truger von der Universität Duisburg-Essen. Im Interview warnt er vor Risiken für die Wirtschaft.

Das wirtschaftliche Umfeld in Deutschland trübt sich weiter ein. Die Exporte schwächeln, der Ifo-Geschäftsklima-Index sackt weg. Und die Chemie-Branche, die als klassischer Frühindikator gilt, bereitet eine Revision ihres Ausblicks für das laufende Jahr vor. Rutschen wir gerade in eine Rezession?

Eine technische Rezession, also zwei Quartale mit negativer Wachstumsrate, haben wir ja bereits. Und in der Tat, die Einschläge kommen näher. Alle Prognoseinstitutionen haben ihre Konjunkturprognosen nach unten revidiert. Es ist daher zu erwarten, dass die deutsche Wirtschaft auch im Gesamtjahr 2023 schrumpft.

Der Sachverständigenrat geht für das laufende Jahr beim BIP bislang von einem Mini-Plus von 0,2 Prozent aus. Das wird also kaum zu halten sein?

Ja, leider. Wir machen erst im Herbst wieder eine Konjunkturprognose, aber im Moment sieht es wie gesagt klar nach einem Minus aus.

Das Münchner Ifo-Institut, das gewerkschaftsnahe IMK und andere Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen inzwischen mit einem Minus des Bruttoinlandsprodukts in der Größenordnung von minus 0,4 beziehungsweise 0,5 Prozent. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich will nicht unabgestimmt ohne echte eigene Prognose Zahlen in die Welt setzen, aber die Größenordnung erscheint mir plausibel. Viel schlimmer als die konkrete Zahl sind aber zwei Dinge. Erstens unterschreitet die deutsche Wirtschaftsleistung damit immer noch das Vorkrisenniveau von 2019. Vor Russlands Krieg in der Ukraine war mit einem kräftigen Aufschwung gerechnet worden. Daran sieht man, wie sehr die Energiekrise die deutsche Wirtschaft belastet. Zweitens zeichnet sich auch für 2024 nur eine zaghafte Erholung ab. Das sind schlechte Aussichten.

Die EZB oder die US-Notenbank versuchen, die hohe Inflation mit steigenden Zinsen in den Griff zu kriegen, und haben für die nächsten Monate bereits weitere Zinserhöhungen in Aussicht gestellt. Wie groß ist die Gefahr, dass die Währungshüter überziehen und die ohnehin fragile Konjunktur ganz abwürgen?

Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, gerade im Euro-Raum. Dort resultiert die Inflation weiterhin größtenteils aus den angebotsseitigen Preisschocks und kaum aus übermäßiger Nachfrage. Die Konjunktur trübt sich bereits deutlich ein, und die vergangenen drastischen Zinserhöhungen wirken ja mit deutlicher Verzögerung, das heißt ihre volle Wirkung ist noch gar nicht eingetreten. Da noch draufzusatteln ist riskant.

Also hoffen Sie auf eine Zinspause, zumindest in der Euro-Zone?

Ja, in der Euro-Zone wäre eine Zinspause meines Erachtens angemessen. Die Inflation ist bereits spürbar und etwas schneller als erwartet gesunken, und alles deutet auf weitere Rückgänge hin. In Spanien liegt die Inflation bereits unter zwei Prozent. Die Inflationserwartungen sind verankert. Mir scheint, die EZB droht die Zinsschraube zu überdrehen. Nachdem sie zu Beginn der Inflation wahrscheinlich zu lange gezögert und zu locker gehandelt hat, sollte sie nun nicht ins andere Extrem fallen. Interview: Thomas Schmidtutz

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