Alte E-Bikes, fast wie neu

von Redaktion

VON ANDREAS HÖSS

Kempten – Sven Erger steht in einer großen Industriehalle im Gewerbegebiet von Kempten und begutachtet ein graues E-Bike von Trek. Er dreht das Rad hin und her, schaut auf Sattel, Reifen, Kette, Schaltung, Rahmen – und scheint zufrieden. „Sieht fast aus wie neu“, sagt Erger, „nur die Gabel hat minimale Kratzer. Der kleine Schönheitsfehler ist aber in Ordnung. Wir dokumentieren ihn mit Fotos, dann kommt das Rad ins Netz.“ Damit gibt er ein weiteres von rund 20 000 aufbereiteten E-Bikes pro Jahr frei für den Verkauf.

Sven Erger hat schon viel gemacht in seinem Leben. Er hat Maschinenbau und Wirtschaft studiert und bei Firmen wie Microsoft, Sony und Nokia gearbeitet. Eines war er aber immer: Leidenschaftlicher Radfahrer. Erst fuhr er Hobbyrennen auf dem Mountainbike, heute trainiert er viermal pro Woche auf dem Rennrad. Als er 2018 gemeinsam mit seinem Freund Thomas Bernik eine Firma im Bereich der Kreislaufwirtschaft gründen wollte, war schnell klar, was er aufbereiten will: Nicht Handys oder Computer, sondern Räder, vor allem E-Bikes. „Denn bei gebrauchten Rädern kauft man bisher die Katze im Sack“, sagt Erger. „Das wollen wir ändern.“

Einfach hatten es die beiden dabei anfangs nicht. Die ersten 30 Gebrauchträder kauften sie bei E-Bay. Erger fuhr kreuz und quer durch die Republik und sammelte sie ein. Doch mit dem Siegeszug des Radleasings und der Jobräder stellte sich auch für die Hersteller und Händler plötzlich die Frage, was man mit den Rückläufern machen soll. Ergers Firma Rebike hat deshalb längst Übernahmeverträge mit großen Radfirmen wie Focus, Kalkhoff, Scott oder Cannondale, auch Leasingplattformen liefern Rückläufer an Rebike. „Heute kommen hier täglich Sattelschlepper an“, berichtet Erger. Außerdem betreibt Re- bike selbst eine Plattform für Fahrradleasing und sorgt so für eigenen Nachschub.

Die Gebrauchträder sind im Schnitt wenige Monate bis drei Jahre alt, haben 1000 bis 3000 Kilometer auf der Uhr und werden später bis zu 40 Prozent unter Neupreis verkauft. Dafür werden sie gereinigt, Schäden behoben und Verschleißteile getauscht. Am Ende bleiben nur kleine optische Macken, die nicht weiter stören. Die Münchner Firma, die von Risikokapitalgebern wie Tengelmann Ventures, Vorwerk Ventures oder Circulating Capital unterstützt wird, hat für den Prozess 2022 in Kempten das größte europäische Aufbereitungswerk für Räder eröffnet. Dort arbeiten auf 3550 Quadratmetern 50 Mitarbeiter, und das sehr strukturiert. So viel wie möglich ist industrialisiert und automatisiert. Jedes Rad wird bei der Ankunft digital erfasst, so dass die Mitarbeiter später mit nur einem Klick wissen, um welches Modell es sich handelt, in welchem Zustand es ist und was repariert wird.

Künftig sollen die Räder wie in einer Autofabrik auf Schienen durch die Halle wandern. Das ist auch nötig, denn Rebike will bald 50 000 Räder pro Jahr generalüberholen. Um das möglichst effizient zu machen, wurde ein Experte aus der Autoindustrie eingestellt. Zudem wird immer an maßgeschneiderten Lösungen getüftelt. Gereinigt werden die Räder etwa in einer eigens gebauten, vollautomatischen Waschanlage. „Da stecken eineinhalb Jahre Entwicklung drin“, sagt Erger. Gespeist wird sie mit in großen Tanks gesammeltem Regenwasser, das nach jedem Waschgang aufgefangen, gefiltert, mit Hilfe von Mikroben gereinigt und dann erneut verwendet wird. Auch das hat man sich von den großen Autowerken abgeschaut.

Ohnehin hat die Autoindustrie Vorbildfunktion für Erger und sein Team. „Wer einen Jahreswagen kauft, weiß genau, was er kriegt“, sagt er. „Diesen Standard wollen wir auch setzen und das Sixt der Gebrauchträder sein.“ Deshalb hat Rebike seit Kurzem ein TÜV-Siegel für seine Aufbereitung. Wer sich für ein Rad interessiert, bekommt detaillierte Fotos, eine Übersicht über die verbauten Teile, die gefahrenen Kilometer und die Gebrauchsspuren sowie zwei Jahre Garantie auf Motor und Akku. Dass diese oft genutzt wird, glaubt Egger übrigens nicht: „Motor und Akku halten in der Regel zehntausende Kilometer“, sagt er. „Da können die meisten Käufer noch ihr ganzes Leben damit fahren.“

Artikel 5 von 11