München – Jörn Spurmann erklärt, was er den Space-Shuttle-Moment nennt. „Das Space Shuttle war ein Kostengrab“, sagt der Mitgründer des deutschen Raketen-Start-ups Rocket Factory Augsburg (RFA). Nachdem sich in der Raumfahrtnation USA diese Erkenntnis verfestigt hatte, wurde der Bau von Trägerraketen privatisiert, was den heutigen Dominator Space X mit seiner Falcon 9 hervorgebracht hat. Als schneller in der Entwicklung und kostengünstiger habe sich dieser Systemwechsel erwiesen, betont Spurmann. „Wir müssen die gleichen Schlussfolgerungen wie die USA ziehen“, fordert der deutsche Raumfahrtmanager. Die EU müsse ihre Raumfahrt nach US-Vorbild kommerzialisieren, weil sie sonst ihre Wettbewerbsfähigkeit verliere.
Falls das nicht schon geschehen ist. Raumfahrtexperten blicken mit Skepsis auf das Ariane-Programm als Europas Zugang zum All. Gerade ist die Ariane 5 ausgemustert worden. Aber der Nachfolger Ariane 6 liegt zwei Jahre hinter seinen Plänen und steht nicht bereit nach schon zehn Jahren Entwicklungsdauer und gut vier Milliarden Euro Entwicklungskosten. Frühestens Ende 2023, wahrscheinlicher Anfang 2024 dürfte sie erstmals abheben.
Über 130 Starts habe die Falcon 9 dann schon absolviert und dabei mit Zuverlässigkeit, hoher Startfrequenz und niedrigen Kosten gepunktet, sagt Rafela Kraus und klingt fast neidisch. Die 56-jährige Professorin ist Betriebswirtin und Vizepräsidentin der auf Raumfahrt spezialisierten Bundeswehr-Universität in München. „Space X ist innovativer als Ariane“, stellt sie klar. Die Ariane-Gruppe dagegen sei von politischen Interessen getrieben, was sie langsam und teuer mache.
Das sieht auch RFA so und hat Zustand sowie Perspektiven der europäischen Raumfahrt nun in einem White Paper beschrieben. Europa organisiere Raumfahrt nach dem Georeturn-Prinzip, wird dort kritisiert. Nach nationalem Proporz würden Aufträge vergeben statt nach Sinnhaftigkeit, heißt das. Nationale Egoismen bestimmen das Tun nicht Effektivität. Das führe zu trägen Strukturen und traditionalisierten Monopolen. Es bremse Innovation sowie Entscheidungsfreudigkeit.
„Verglichen mit Space X ist die Ariane 6 etwa doppelt so teuer und international damit nicht wettbewerbsfähig“, fürchtet Spurmann. Zudem brauche die Ariane-Gruppe in der Entwicklung auch doppelt so lange. Die neue Europarakete trete darüber hinaus aber zudem technologisch auf der Stelle.
„Space X ist innovativer als Ariane“, assistiert Kraus. So sei die Falcon 9 anders als ihr Konkurrent wiederverwendbar, was sie nicht nur billiger, sondern auch nachhaltiger macht. Über europäische Raumfahrtmissionen drohe die neue Ariane nicht hinauszukommen, fürchtet Spurmann. Für Aufträge von Dritten reiche es absehbar nicht. Europa habe aber bei privat entwickelten Trägerraketen bald einiges zu bieten. Sieben Firmen arbeiteten europaweit an Trägerraketen, von denen viele ihren Erststart binnen zwei Jahren planen. RFA peilt ihn Mitte 2024 an. Europa muss sich ab sofort Gedanken zur Nachfolge der Ariane 6 machen, mahnt RFA und macht dazu Vorschläge. EU und die europäische Raumfahrtbehörde ESA sollen Aufträge öffentlich ausschreiben.
Auch wenn auf dem Weg einige Privatfirmen scheitern, werde es finanzierenden EU-Staaten unter dem Strich viel Zeit und Geld sparen, schätzen RFA und auch Braun. Die USA und Space X hätten das demonstriert. „Wir haben sechs Jahre gebraucht, um unsere Trägerrakete zu entwickeln, die Ariane 6 zehn Jahre“, verdeutlicht Spurmann die Diskrepanz zwischen privat und staatlich.
Dabei habe RFA anders als Ariane von null angefangen. Der 40-Jährige ist zuversichtlich, preislich sogar mit Space X mithalten zu können. Hinter sich haben das Start-up und seine junge Branche den Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Eigene Wege ins All zu haben, sei für Europa von strategischer und gesamtwirtschaftlicher Bedeutung, betont BDI-Raumfahrtexperte Matthias Wachter und fordert eine Zeitenwende für die europäische Raumfahrt. „Ein Mix aus etablierten und kommerziellen Trägerraketen würde die Resilienz des Zugangs zum All erhöhen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken“, wirbt auch er.
Den Startschuss für eine solche Entwicklung in Europa könne die ESA-Ministerratskonferenz 2025 geben, was Vorbereitung benötigt. „Wir müssen jetzt Entscheidungen treffen“, sagt Spurmann und verlangt Start-up-Tempo.