München – Atomausstieg 2023, Kohleausstieg am besten 2030, Gasaustieg irgendwann danach – Deutschland soll so schnell wie möglich raus aus der konventionellen Stromerzeugung. So plant es zumindest Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Die Kritik daran ist laut: Deindustrialisierung, Blackouts, Flatterstrom – nur um einige Punkte zu nennen. Die Frage: Kann ein grünes Stromnetz auch sicher sein?
Das kann Kathrin Ballerstein am besten beantworten. Sie ist Direktorin der Netzplanung beim Übertragungsnetzbetreiber Tennet. Die Hüter des Höchstspannungsnetzes steuern den Kraftwerkspark, wissen also genau, wie das System funktioniert. „Wir haben berechnet, was wir für ein klimaneutrales Stromnetz brauchen. Die gute Nachricht: Wir können es schaffen“, sagt Ballerstein. Neben deutlich mehr Netzverbindungen brauche es dafür einen neuen Kraftwerkstyp: „Die beste Antwort auf die volatile Erzeugung von Sonne und Wind werden Wasserstoff-Gaskraftwerke sein, weil sie flexibel dann einspringen, wenn es Bedarf gibt.“
Der Plan des Wirtschaftsministeriums: Man will Gaskraftwerke bauen, die später auch Wasserstoff verstromen können. Das soll den Übergang erleichtern.
Doch um ein Industrieland wie Deutschland sicher versorgen zu können, braucht es eine Menge Kraftwerke, sagt Serafin von Roon, Leiter der Forschungsstelle für Energiewirtschaft in München: „Wir brauchen in Deutschland rund 43 Gigawatt neu zu installierende Kraftwerksleistung, um 2045 ein klimaneutrales Stromnetz zu haben.“ Das sind etwa 90 große Gaskraftwerke.
Das klingt nach viel, aber: „Zurzeit haben wir immer noch rund 36 GW Kohle und 32 GW Gaskraftwerke am Netz. Der Bedarf an gesicherter Leistung wird also deutlich sinken.“ Denn: „Durch den Netz- und Speicherausbau haben wir weniger Lücken in der Versorgung mit den Erneuerbaren.“
Das ist gut für Verbraucher, denn gesicherte Leistung, sei es Kohle, Gas, Wasserstoff oder Wasserkraft, ist meist deutlich teurer als Strom aus Wind und Sonne. „Dadurch müssten die Wasserstoffkraftwerke nur wenige hundert Stunden im Jahr laufen. Manche Kraftwerke werden nur einmal alle zehn Jahre laufen, wenn es tatsächlich mal eine Dunkelflaute gibt“, sagt von Roon. Wenn die Reservekraftwerke nicht laufen, dürfte der Strom deutlich günstiger sein, als heute.
„Unter diesen Bedingungen wird aber niemand in ein Kraftwerk investieren, weil heute nur der Strom bezahlt wird, der auch gebraucht wird.“ Von Roon erwartet deshalb, dass für die Reservekraftwerke ein umlagefinanzierter Kapazitätsmarkt eingeführt wird – und schätzt die Kosten: „Ein Gedankenexperiment: Wir können die Kraftwerke auf 20 Jahre abschreiben und einen Kapitalzins von 7,09 Prozent anlegen.“ Zu diesen Konditionen arbeiten Netzbetreiber heute, sie sind also realistisch. „Legen wir das auf die verbrauchten Kilowattstunden um, bedeutet das nach unserer Rechnung einen Aufschlag von 0,28 Cent pro Kilowattstunde. Damit wäre der Kraftwerkspark komplett finanziert.“ Die Investitionskosten wären damit verschwindend gering: „Haushaltskunden zahlen heute rund 35 Cent pro Kilowattstunde.“
Wenn die Kraftwerke dann aber laufen, wäre das teuer: „Wir rechnen ganz langfristig mit einem Wasserstoffpreis im Bereich von 100 Euro pro Megawattstunde an der Börse, aus einer solchen Gasturbine würde der Strom dann rund 250 Euro kosten“, sagt Serafin von Roon. Zum Vergleich: „Heute kostet die Megawattstunde Erdgas an der Börse rund 50 Euro, und in ein paar Jahren erwarten wir wieder etwa 30 Euro.“
Von Roon ist überzeugt, dass intelligente Zähler und ein besserer Zugang zum Strommarkt das Problem lösen können: „Wenn die Wasserstoffkraftwerke laufen, wird der Strompreis in die Höhe schnellen. Darauf werden aber flexible Geräte wie Wärmepumpen und E-Autos reagieren und den Bezug einschränken. Dadurch könnten diese Kraftwerke teilweise vom Netz gehen, und der Strompreis sinkt.“
Auch Netzplanerin Kathrin Ballerstein glaubt, dass ein klügerer Verbrauch die Strompreise senken kann: „Heute haben alle eine Stromflatrate, verbrauchen ihn also, auch wenn die Erzeugung gerade aufwendig ist. Das macht den Strom am Ende des Jahres für alle teurer.“ Deshalb sagt sie: „Wir brauchen auf jeden Fall regulatorische Anreize für Flexibilitäten.“ Das sei etwa ein Strompreis, der flexibel auf das Angebot reagiert. „Wenn das klappt, müssten die Reservekraftwerke seltener laufen – und der Strom wäre für alle Europäer günstiger.“
Und obwohl es ökonomisch meist Unsinn ist, Wasserstoff einfach zu verbrennen, kann er laut FfE-Chef von Roon einen Platz in der Wärmeerzeugung haben: „Einige Stadtwerke denken für ihr Fernwärmenetz auch über Kraft-Wärme-Kopplung nach. Das ist zwar teuer, aber bei hohem Wärmebedarf werden auch die Strompreise höher sein, sodass es sich auch wieder lohnen kann.“