Berlin – Auch nach mehr als 100 Stunden Verhandlung und zwei Warnstreiks kam kein neuer Tarifvertrag bei der Deutschen Bahn zustande – jetzt soll per Schlichtung der Tarifkonflikt beigelegt werden. Gestern starteten die Gespräche an einem unbekannten Ort. Auch darüber hinaus haben die Bahn und die EVG zu fast allen Details des Verfahrens Stillschweigen vereinbart. Die Schlichter sollen bis Ende Juli in Ruhe und ohne mediale Aufmerksamkeit am komplexen Tarifwerk arbeiten können. Klar ist, das bis Ende August nicht gestreikt werden soll.
Keine Streiks bis Ende August – ist das wirklich schon sicher?
Ja. Beide Seiten haben sich auf eine Friedenspflicht vor und während der Schlichtung verständigt. Die EVG hat zudem zugesichert, auch während der anschließenden Urabstimmung keine Streiks durchzuführen. Für die allermeisten Bundesländer steht damit fest: Keine Streiks bei der Bahn in den Sommerferien. Lediglich in Bayern und Baden-Württemberg sind die Schulen auch nach dem ersten September-Wochenende noch zu.
Wer schlichtet?
Beide Seiten konnten jeweils einen Schlichter bestimmen und haben sich dabei auf Vermittler mit viel Erfahrung in der politischen und gesellschaftlichen Arbeit entschieden. Die EVG bestimmte Heide Pfarr. Die 78 Jahre alte Sozialdemokratin war unter anderem viele Jahre Direktorin des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in Düsseldorf. Zudem war die Arbeitsrechtlerin einige Monate für die SPD Senatorin in Berlin und Anfang der 90er-Jahre für kurze Zeit Arbeitsministerin in Hessen. Für die DB schlichtet der frühere Bundesinnen- und Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Der 69 Jahre alte CDU-Politiker war in seiner langen politischen Karriere zudem Kanzleramtschef und hatte mehrere Ministerposten in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen inne.
Wie lange wird geschlichtet?
Vorgesehen sind 17 Tage, also bis zum 31. Juli. Ob es an jedem Tag Treffen gibt, ist nicht bekannt. Die Schlichtung endet mit dem Schlichterspruch. Stimmen beide Seiten diesem zu, ist der Tarifkonflikt beendet und es liegt ein Tarifergebnis vor. Die EVG will nach der Schlichtung allerdings noch eine Urabstimmung durchführen – die Mitglieder können dann sagen, ob sie den Schlichterspruch beziehungsweise das vorliegende Ergebnis akzeptieren oder lieber in unbefristete Streiks gehen wollen. Das Ergebnis der Urabstimmung wird für Ende August erwartet. „In einen unbefristeten Streik treten wir ein, wenn mehr als 75 Prozent der Rückmeldungen für Streik stimmen“, teilte die EVG kürzlich mit. Die Hürde für den Arbeitskampf ist also deutlich höher als jene für die Annahme des Schlichterspruchs.
Wie stehen die Erfolgschancen bei der Schlichtung?
Das lässt sich vorher nicht sagen, prinzipiell kann die Schlichtung aber als Zeichen der Annäherung und als eine beidseitige Willensbekundung zu einer gemeinsamen Lösung verstanden werden. Es kam allerdings schon vor, dass Schlichtungen bei der Bahn scheiterten – zuletzt etwa Ende 2020. Damals vermittelte der frühere Brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) vergeblich zwischen der Bahn und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Erst im September 2021 stimmten beide Seiten für einen Tarifvertrag bis Oktober 2023 – ohne Schlichtung.
Ist nach einer Einigung die Gefahr eines Streiks bei der Bahn vorbei?
Nein. Im Herbst stehen schon die nächsten Verhandlungen mit der deutlich kleineren, aber umso streitbareren Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) unter ihrem Chef Claus Weselsky an. Die Friedenspflicht läuft dort Ende Oktober aus. Ab dann kann die GDL ebenfalls zu Warnstreiks aufrufen.