München – Am Großmarkt für Strom geht es wild zu. Tausende europäische Kraftwerke reagieren minutengenau auf die Nachfrage und bilden am Markt für jede Viertelstunde einen eigenen Preis. Strom kostet mal 50 Cent pro Kilowattstunde, mal minus 50 – und alles dazwischen.
Normale Verbraucher bekommen davon nichts mit, sie haben einen Fixpreis. Der Versorger kauft im Großhandel ein und bildet aus den unterschiedlichen Preisen einen Einheitspreis, der über den ganzen Vertragszeitraum gilt. Das schützt vor Preisspitzen – verhindert aber auch Schnäppchen, sagt Merlin Lauenburg, Geschäftsführer bei Tibber Deutschland: „Anfang Juli erhielten Kunden von Tibber zwischenzeitlich einen Strompreis von bis zu minus 47 Cent pro kWh. Ein Nutzer gab an, zu dieser Zeit 13 Euro mit dem Laden seines E-Autos verdient zu haben.“ Der Energieversorger Tibber stammt eigentlich aus Norwegen, ist dort der zweitgrößte Akteur am Markt. Seit Mai 2020 bietet er auch in Deutschland flexible Tarife an: „Wir kaufen unseren Strom stets am Vortag ein und reichen damit immer den stundenaktuellen Marktpreis an unsere Kunden weiter.“ Wenn also viel grüner Strom erzeugt wird, ist die Energie günstig, gibt es wenig Angebot, ist sie teuer.
Das Versprechen laut einer hauseigenen Studie von Tibber: „Wenn unsere Kunden ihren Stromverbrauch gut planen können, sparen sie bis zu 30 Prozent gegenüber einem herkömmlichen Anbieter.“ Die Kehrseite ist natürlich: Braucht man Energie dringend, kann sie auch teuer sein. Gerade saisonal kann es da große Unterschiede geben. Verbraucher tragen Gewinnchancen und Verlustrisiken jeweils voll.
Laut Merlin Lauenburg verdient Tibber am Stromhandel nichts: „Wir erheben nur eine monatliche Gebühr von 4,49 Euro.“ Eine zweite Einnahmequelle ist der Verkauf von smarten Geräten, die die günstige Stromnutzung automatisieren. Ein Beispiel: „In unserer App werden immer schon die Preise für den kommenden Tag angezeigt. Mit unserer smarten Wallbox kann man sein E-Auto dann genau in den Stunden laden lassen, in denen der Strom besonders günstig ist.“
In Nordeuropa sei man schon deutlich weiter: „In Skandinavien sind intelligente Stromzähler, die flexible Tarife, ermöglichen schon lange Standard“, erklärt Lauenberg.
Das eröffnet neue Verdienstmöglichkeiten, die es perspektivisch auch in Deutschland geben soll: „Mit der Einbindung von Haushaltsgeräten wie E-Auto, Wärmepumpe oder Batteriespeichern in sogenannten virtuellen Kraftwerken kann die Netzauslastung stabilisiert werden.“ erklärt Lauenburg. Die Kunden treten über den Versorger gemeinsam als ein großer Stromabnehmer oder -lieferant auf.
„Je nach Netzauslastung bezahlen die Netzbetreiber eine gewisse Summe für Strom, der aus dem Netz genommen oder eingespeist wird“, erklärt Lauenberg. „Die Eigentümer der Speicher würden dann an den Erlösen aus dem Kapazitätshandel beteiligt.“ Dadurch würden sich Speicher schneller rentieren.
Lauenburg ist überzeugt, dass ein flexibler Verbrauch die Preise für alle senkt: „Wir werden durch die fortschreitende Energiewende immer häufiger niedrige oder negative Börsenstrompreise sehen. Wenn wir den Strom stärker dann nutzen, wenn er im Überfluss vorhanden ist und dafür Lastspitzen glätten, sinken dadurch die Kosten für alle.“ Denn wenn Wind und Sonne nicht liefern, müssen teure Kohle-, Wasser- oder Gaskraftwerke einspringen.
Bisher gibt es nur wenige Anbieter flexibler Tarife in Deutschland. Doch das soll sich ändern, um die Energiewende voranzutreiben. Denn heute spüren es Verbraucher nicht akut, wenn sie teuren Strom verbrauchen – am Ende steigen aber für alle die jährlichen Kosten. Deshalb plant die Bundesnetzagentur ab 2025 Versorger zu verpflichten, neben Flatrates auch flexible Tarife anzubieten.