Ottobrunn – Deutschland steht an der Schwelle zum Weltraum. „Wenn alles gut geht, starten wir noch dieses Jahr“, sagt Daniel Metzler. Neben dem Chef und Mitgründer des Raumfahrt-Startups Isar Aerospace aus Ottobrunn bei München steht Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und betrachtet ein Teil der Spectrum-Rakete, die Metzler in ein paar Monaten in den Erdorbit bringen will. Habeck ist auf Rundtour durch die Produktionshallen des erst 2018 von drei Studenten gegründeten Start-ups – und sichtlich begeistert. „Das ist krass“, sagt er zur Entwicklungs- und Aufbaugeschwindigkeit. Das sei alles ganz anders als beim klassischen Ansatz.
Klassische Raumfahrt bedeutet in Europa bisher: Eine staatliche Institution vergibt staatliche Aufträge an die von Frankreich dominierte Ariane-Gruppe. Was zuletzt weniger gut geklappt hat, stellt Habeck klar. „Wir haben in Europa derzeit keinen eigenen Zugang zum All“, bedauert der Grüne. Die letzte Ariane-5-Rakete ist jüngst gestartet. Ein Erststart der Ariane 6 kommt stark verspätet, laut Habeck frühestens Anfang 2024. „Auf Dauer ist das nicht akzeptabel“, sagt der Bundeswirtschaftsminister.
Für den 31-jährigen Metzler ist das Wasser auf die Mühlen. „Etwa 200 Millionen Euro bis zum Erststart brauchen wir“, sagt der Chef von Isar Aerospace. Aufgebaut worden sei parallel die Fähigkeit zur Massenfertigung von Trägerraketen. Acht Starts pro Jahr traut sich das Jungunternehmen in der jetzigen Struktur zu und sucht nach einem neuen Standort mit zehnfacher Fläche, was dann 40 Starts jährlich erlauben soll. Die Ariane 6 hat zum Vergleich zehn Jahre Entwicklungsdauer hinter sich und gut vier Milliarden Euro an Kosten verschlungen, was deren Starts teuer macht.
Warum ein Start-up wie Isar Aerospace so viel schneller und günstiger arbeitet, erklärt ein Blick in die Produktion. Das meiste fertigen die Bayern per 3D-Druck selbst, was unabhängig von Zulieferern macht und schnelle Fehlerkorrektur erlaubt, erklärt Josef Fleischmann, Mitgründer und Technik-Chef der Jungfirma. „Eine Brennkammer entsteht im 3D-Druck binnen drei bis vier Tagen, traditionell dauert das Monate“, stellt der 32-Jährige klar.
Anmerken muss man dabei, dass Isar Aerospace und andere Raketen-Start-ups sogenannte Microlauncher bauen, also Kleinraketen für etwa eine Tonne Nutzlast. Eine Ariane kann ein Vielfaches mit ins All nehmen. Dieser Vorteil schrumpft aber im Zeitalter von Minisatelliten in Schuhschachtelgröße, die mittlerweile Standard sind. Vom Preis pro Kilogramm Fracht glauben Entwickler von Trägerraketen wie Isar Aerospace oder Rocket Factory Augsburg auch mit dem großen US-Vorbild Space X von Elon Musk mithalten zu können. Ariane 6 ist davon, nach allem was man weiß, weit entfernt.
Für die Spectrum gibt es indessen schon Aufträge, bevor sie überhaupt erstmals geflogen ist. Die Teile für diesen Erstling entstehen gerade vor den Augen Habecks in 3D-Druckern. Den Auftrag zum Erststart mit einem Satelliten an Bord von Nordnorwegen aus hat allerdings der Bund erteilt. „Für elf Millionen Euro kauft der Bund einen Start, wir konnten dadurch 300 Millionen privates Kapital hebeln“, sagt Metzler. Was er beschreibt, ist die Funktionsweise staatlicher Ankeraufträge, nach deren Prinzip Space X zum neuen Dominator im All geworden ist. Der Staat sorgt für die Basisauslastung, die dann ein Mehrfaches an privaten Industrieaufträgen nach sich zieht.
Der Bedarf für neue Satelliten im Orbit ist jedenfalls riesig. Autofirmen brauchen sie für autonomes Fahren, Rettungsdienste zur Waldbrandortung oder Bauern für Präzisionslandwirtschaft. „Raumfahrt ist kein unnötiger Traum von Milliardären, sondern entscheidend für moderne Wirtschaft auf der Erde“, stellt Metzler deshalb richtig. Werden die Weichen richtig gestellt, sehen er und seine Kollegen gute Chancen, Deutschland zu einer führenden Weltraumnation zu machen. „Wir wollen einen großen Teil des Kuchens der globalen Raumfahrt nach Deutschland holen und jede Woche eine Rakete hochschießen“, sagt der 31-Jährige. Europa stehe an einer Weggabelung und könne einen nun einen neuen Apollo-Effekt erzeugen.
Habeck und die deutsche Koordinatiorin für Luft- und Raumfahrt, Anna Christmann, sehen das ähnlich und sagen der Branche Unterstützung zu. „Wir brauchen Wettbewerb in der europäischen Raumfahrt“, betont der Grüne. Raumfahrt rein staatlich zu organisieren sei nicht mehr zukunftsträchtig. Christmann stellte für 2025 erste EU-Ankeraufträge für Microlauncher in Aussicht. Auch für eine Nachfolge der Ariane 6 sollen sich Privatfirmen in einigen Jahren bewerben dürfen. Erst einmal aber muss eine Trägerrakete made in Germany erfolgreich einen Erdorbit erreichen.