Kernfusion: Münchner zieht es in die USA

von Redaktion

VON SEBASTIAN HÖLZLE

München – Colorado statt Bayern: Das Münchner Start-up Marvel Fusion will mit der Colorado State University in den USA für 150 Millionen Dollar (rund 137 Millionen Euro) eine Laser–Anlage für die Kernfusion bauen. Das teilten das Unternehmen und die Universität gestern in einer gemeinsamen Mitteilung mit. Die Demonstrations-Anlage soll nachweisen, dass mit Kernfusion eine saubere und umweltfreundliche Stromproduktion möglich ist.

„Wir hätten sie auch gern in Deutschland errichtet“, zitierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) den Chef von Marvel Fusion, Moritz von der Linden. Doch in Deutschland sei die Bereitschaft gering gewesen, das damit einhergehende Risiko auch nur zu erwägen. „Es hat in Europa seitens der Risikokapitalgeber oder auch der milliardenschweren Family-Offices kein einziges Angebot gegeben“, sagte er. „In Amerika engagieren sich neben dem Staat auch Leute wie Bill Gates, Salesforce-Gründer Marc Benioff oder Jeff Bezos von Amazon mit riesigen Beträgen in der Fusionsforschung. Und hier? Hier schauen immer alle auf den Staat! Wo aber sind denn die risikofreudigen deutschen Großkapitalgeber, wenn es um so etwas Entscheidendes wie die Energiequelle der Zukunft geht?“, zitierte die „FAZ“ den Firmenchef. „Ein amerikanischer Selfmade-Milliardär will alles gewinnen. Ein deutscher Erbe dagegen will nichts verlieren – das ist der entscheidende Unterschied.“

Wie Firmensprecher Jannik Reigl gegenüber unserer Zeitung sagte, seien die Äußerungen nicht als Kritik am am Standort Deutschland zu verstehen. „Der Standort Deutschland ist gut, er könnte aber noch besser sein“, sagte er. Richtig sei aber, dass die USA und Großbritannien im Bereich der Kernfusion „ein gutes Stück“ weiter seien. „Der Hauptsitz der Firma bleibt aber München“, betonte der Sprecher. Auch wolle man die Partnerschaft mit der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) weiterführen. Die Colorado State University sei im Bereich der Laserforschung aber ebenfalls weltweit führend. Vor gut zwei Jahren hatte es Pläne gegeben, eine Fusionsanlage in Penzberg im Landkreis Weilheim-Schongau zu errichten. Der Plan scheiterte aber.

Bei der Kernfusion geht es darum, Atomkerne zu verschmelzen, um aus der frei werdenden Energie hohe Temperaturen und elektrischen Strom zu erzeugen. Physiker verweisen darauf, dass, anders als bei der Kernspaltung in Atomkraftwerken, dabei kein Strahlenmüll entsteht und das Risiko eines Nuklearunfalls nicht existiert. Auch CO2-Emissionen gibt es nicht. Fusionskraftwerke wären damit ideal für die Grundlast in einem klimaneutralen Stromnetz.

Geforscht wird an unterschiedlichen Ansätzen. Bekanntestes internationales Projekt ist der milliardenschwere Fusionsreaktor Iter in Frankreich. Hier sollen Magnetfelder ein Plasma einsperren und die Atomkerne verschmelzen. Geplante Fertigstellung des Forschungsreaktors: frühestens 2035. Das kommerzielle Nachfolgeprojekt könnte 2050 fertig sein. Marvel Fusion verfolgt einen anderen Ansatz: Laser sollen die Atomkerne verschmelzen.

Firmensprecher Reigl sagt, weltweit gebe es rund 40 Unternehmen, die die Kernfusion kommerzialisieren wollten, alle hätten ihre eigene Technologie. Reigl vergleicht es mit der Raumfahrt: Über Jahre dominierten staatliche und halbstaatliche Raumfahrtfirmen den Markt, bis Space X von Elon Musk mit billigen und effizienten Raketen eine Alternative bot.

Ähnlich bei der Kernfusion: Die internationale Politik setzte über Jahre auf den Fusions-Tanker Iter, bis private Start-ups ihre Schnellboote ins Rennen schickten. Bislang ist es aber noch niemandem gelungen, mehr Energie aus einer Anlage herauszuholen als in die Anlage zu stecken. Zwar verkündeten US-Forscher im Dezember vergangenen Jahres einen „historischen Durchbruch“. Lasern war es erstmals gelungen, ein Plasma zu erzeugen, das mehr Energie abgab, als es verschluckte. Nicht berücksichtig in dieser Rechnung war aber der Stromverbrauch der gesamten Anlage – diese Bilanz blieb negativ.

Marvel Fusion aus München will in den USA nun zeigen, dass die technologische Umsetzung möglich ist. „Die Laser erfüllen sämtliche Anforderungen, um einen kraftwerkstauglichen Betrieb nachzuweisen“, hieß es gestern in der Mitteilung. Außerdem plane das Start-up parallel einen Prototypen als nächsten Schritt auf dem Weg zu einem kommerziellen Fusionskraftwerk. „Wir hoffen natürlich, dass das dann in Deutschland oder in Europa gebaut werden kann“, sagte Sprecher Reigl. Anfang der 2030er-Jahre rechnet er mit dem internationalen Durchbruch der Technologie.

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