„Standort Innenstadt braucht Hilfe“

von Redaktion

VON THOMAS SCHMIDTUTZ

München – In den deutschen Innenstädten müssen immer mehr traditionsreiche kleine und mittelständische Geschäfte schließen. Das geht aus aktuellen Daten des Handelsverbands HDE hervor, die unserer Zeitung vorliegen. Danach ist der Umsatz-Anteil der selbstständigen Fachhändler im vergangenen Jahr auf 13,3 Prozent geschrumpft nach 13,9 Prozent im Jahr zuvor. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Anteil des sogenannten „nicht-filialisierten Fachhandels“ – also der klassischen, häufig inhabergeführten Fachgeschäfte wie Herrenausstatter, Schuhhäuser oder Schreibwarenhändler – damit mehr als halbiert.

„Wir beobachten insbesondere bei kleineren Handelsunternehmen einen teils dramatischen Niedergang“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, gegenüber dieser Zeitung. Besonders in Klein- und Mittelstädten seien „über Generationen familiengeführte Betriebe in akuter Gefahr“. Im laufenden Jahr könnte der Anteil des Fachhandels erstmals seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2002 unter die Marke von 13 Prozent fallen, sagte Genth.

Gleichzeitig breiten sich Drogeriemärkte, Bekleidungshändler und andere große Handelsketten in den Innenstädten weiter aus. Damit schreitet die Konzentration im deutschen Handel weiter voran. So stieg der Umsatzanteil der Fachhandelsfilialisten wie etwa H&M, Douglas oder Deichmann zwischen 2002 und 2022 um 2,8 Prozentpunkte auf 14,9 Prozent, bei Fachmarkt-Ketten (zum Beispiel Mediamarkt/Saturn, Obi, dm, Decathlon) ging es im selben Zeitraum um 3,1 Punkte auf 16,6 Prozent nach oben, Discounter (Aldi, Lidl, Penny) legten um 3,9 Prozentpunkte auf 15,6 Prozent zu.

Den größten Sprung verbuchte aber der Onlinehandel (Amazon, Zalando, Home24). Er vereinigt inzwischen 6,5 Prozent des gesamten Handelsumsatzes (ohne Kfz, Tankstellen, Brennstoffe oder Apotheken) von zuletzt gut 631 Milliarden Euro auf sich. Am Beginn des Siegeszugs von Amazon und Co. vor gut 20 Jahren hatte es gerade für 0,5 Prozent gereicht.

Nach den Lockdowns wegen der Pandemie hätten sich der Ukraine-Krieg und die hohe Inflation „negativ auf die Konsumstimmung“ ausgewirkt, so Genth. Das Käuferverhalten habe sich „massiv verändert“. Allein im ersten Halbjahr 2023 setzte die Branche inflationsbereinigt 4,5 Prozent weniger um. Immer mehr Betriebe kämpfen ums Überleben. Wegen der Krisen der vergangenen Jahre sei das Eigenkapital vielfach aufgezehrt, Investitionen daher oft nicht mehr möglich. Insgesamt dürften im laufenden Jahr „9000 Geschäfte“ schließen. Damit stünden laut Genth bis zu 50 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Wegen der immer schwierigeren Lage und der steigenden Leerstände müssten in den Innenstädten „jetzt alle Alarmglocken schrillen“, sagte Genth. Der Standort Innenstadt benötige „schnelle und entschlossene Hilfe“. Neben einer Gründungsoffensive forderte Genth, das jüngst überraschend verschobene „Wachstumschancengesetz“ zu erweitern und künftig auch Investitionen in die Digitalisierung zu fördern. Dies könne über Zuschüsse oder Steueranreize geschehen.

Zugleich kritisierte Genth die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zur Einführung eines Industriestrompreises. Eine „einseitige Subvention nur für energieintensive Industrien ist ein Irrweg“. Die gesamte Wirtschaft brauche bezahlbare Strompreise. Der HDE-Chef sprach sich stattdessen für eine Senkung der Stromsteuer auf das EU-Minimum aus. Aktuell kassiert der deutsche Fiskus 2,05 Cent je Kilowattstunde. Die EU-Mindestvorgabe für Betriebe liegt bei 0,05 Cent Stromsteuer je kWh, für private Haushalte schreibt Brüssel einen Mindeststeuersatz von 0,1 Prozent je Kilowattstunde vor.

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