Deutschland – Bremsklotz statt Lokomotive

von Redaktion

VON JÖRN BENDER UND FRIEDERIKE MARX

Wiesbaden/Frankfurt – Hohe Inflation, stockender Konsum, schwächelnde Weltkonjunktur – die deutsche Wirtschaft kommt in diesem Jahr einfach nicht in Schwung. Viele Volkswirte rechnen inzwischen mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr. Europas größte Volkswirtschaft bewege sich „weiterhin im Dämmerzustand zwischen Stagnation und Rezession“, konstatiert ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Das am Freitag vom Statistischen Bundesamt für das zweite Quartal bestätigte Nullwachstum trage nicht gerade dazu bei, die Debatte über Deutschland als „kranker Mann Europa“ zum Verstummen zu bringen. Nicht alle Experten sehen die Lage so düster.

„Nach den leichten Rückgängen in den beiden Vorquartalen hat sich die deutsche Wirtschaft im Frühjahr stabilisiert“, analysierte die Präsidentin des Bundesamtes, Ruth Brand. Demnach stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal zum Vorquartal.

Die hartnäckige Inflation dämpft den Konsum, der eine wichtige Konjunkturstütze ist. Immerhin sanken die privaten Konsumausgaben nach Rückgängen im Winter nun nicht weiter. Die Unternehmen investierten sogar etwas mehr in Maschinen und Fahrzeuge.

Zugleich leidet die Exportnation Deutschland unter einer schwachen Auslandsnachfrage. Die Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen sank zum Vorquartal um 1,1 Prozent. Die Importe stagnierten. Die Stimmung in den deutschen Chefetagen hat sich weiter eingetrübt. Der Ifo-Geschäftsklimaindex sank im August im vierten Monat in Folge: „Die Durststrecke der deutschen Wirtschaft verlängert sich“, stellte das Münchner Institut fest.

„Unser Land ist nicht mehr Wachstumslokomotive, sondern Bremsklotz – und das als immerhin die größte Volkswirtschaft Europas“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. „Das Gute: Die Probleme sind lösbar. Es ist aber Zeit loszulegen.“ Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), meint, Deutschland habe wirtschaftlich „goldene 2010er Jahre“ gehabt und sei heute global sehr wettbewerbsfähig: „Deutschland könnte jedoch wieder zum kranken Mann Europas werden, wenn es seine Stärken jetzt nicht klug nutzt“

Der Fiskus gab im ersten Halbjahr nach vorläufigen Daten 42,1 Milliarden Euro mehr aus, als er einnahm. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung lag das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung bei 2,1 Prozent. Das ist deutlich mehr als die 0,3 Prozent im ersten Halbjahr 2022.

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