München – Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, hat deutsche Unternehmen davor gewarnt, sich aus China zurückzuziehen. „Auf der Absatzseite werden viele Dinge falsch dargestellt: China ist nun einmal der von seiner Erwerbsbevölkerung größte und von seiner Wirtschaftskraft der zweitgrößte homogene Markt der Welt“, sagte Russwurm unserer Zeitung. „Mir ist überhaupt nicht einsichtig, warum man nicht darauf bedacht sein sollte, in diesem Markt weiterhin erfolgreich zu sein.“ Daher machten es deutsche Unternehmen, die in China einen Absatzmarkt sehen, „absolut richtig“.
Auch bei der Beschaffung von Rohstoffen spielt China für Unternehmen laut Russwurm eine Schlüsselrolle: „Die gesamte westliche Welt, nicht nur Deutschland, ist abhängig von Materialien aus China.“ Die Tatsache, dass China jetzt mit seinem Drohpotenzial winke und seit dem Sommer Ausfuhrgenehmigungen für Germanium und Gallium verlange, sei ein klares Signal. „China will uns sagen: ,Leute, wenn wir wollen, können wir euch Schwierigkeiten machen.‘“ Darauf müsse man reagieren. Unabhängiger zu werden, brauche aber Zeit und koste Geld.
Der Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hatte gezeigt, wie riskant einseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten sein können. Insbesondere Deutschland hatte jahrelang auf vergleichsweise billiges russisches Gas gesetzt und die damit einhergehenden Risiken weitgehend ignoriert. Nach Kriegsbeginn sah sich die Bundesregierung gezwungen, sich nach alternativen Gas-Lieferanten umzusehen. In der Folge waren die Wirtschaftsbeziehungen zu China zunehmend in die Kritik geraten. Denn diese Beziehungen sind eng: Laut Statistischem Bundesamt war China 2022 zum siebten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner. Mitte Juli hatte die Bundesregierung ihre China-Strategie veröffentlicht und ein „De-Risking“ versprochen. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen insbesondere in kritischen Bereichen Abhängigkeiten verringert und die Wirtschaftsbeziehungen insgesamt diversifiziert werden.
„Natürlich ist es wichtig, auch andere Absatzmärkte zu erschließen, aber da muss die europäische Politik helfen und endlich überfällige Handelsabkommen schließen“, sagte BDI-Präsident Russwurm. „Es ist gut, dass wir jetzt Handelsabkommen mit Neuseeland und Kanada bekommen. Aber wir warten immer noch auf ein Abkommen mit den Mercosur-Ländern, wir sind in einer Dauerschleife mit Australien, auch Handelsabkommen mit Indien oder Indonesien würden große Chancen öffnen und Risiken senken.“
Zu den Mercosur-Staaten mit ihrem gemeinamen Markt zählen Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela, wobei Venezuela seit 2017 suspendiert ist. Weitere südamerikanische Staaten sind ohne Stimmrecht mit dem Wirtschaftsraum verbunden. Die EU verhandelt seit Jahren mit den Mercosur-Ländern über ein Freihandelsabkommen. Kommt es zu einer Einigung, würde die größte Freihandelszone der Welt entstehen, in der Unternehmen weitgehend zollfrei Waren kaufen und verkaufen könnten.
Russwurm sagte, Deutschland brauche dieses Abkommen. „Das erfordert Dialog auf Augenhöhe“, sagte er. „Ich war mit Minister Habeck in Brasilien und habe erlebt, wie selbstbewusst die Brasilianer auftreten.“ Brasilien stünde einem Abkommen offen gegenüber, aber von gleich zu gleich. „Die sagen: ,Wenn ihr uns sanktionieren wollt, weil euch unser Vorgehen, den Amazonas zu schützen, nicht gefällt: Was würdet ihr eigentlich davon halten, wenn wir euch sanktionierten, wenn ihr eure Flüsse nicht nach unseren Vorstellungen schützt oder Windparks in Wälder baut?‘“ Russwurm forderte, dass es am Ende Kompromisse geben müsse, die alle mittragen könnten. SEBASTIAN HÖLZLE