„Je technisierter die Landwirtschaft, desto empfindlicher ist sie“

von Redaktion

München – Die Filmregisseurin Dorris Dörrie wollte es kaum glauben: „Als ich dieses Jahr von meiner Heimat Hannover zurück nach Bayern fuhr, habe ich das erste Mal braune, verbrannte Wiesen gesehen. Das kenne ich aus Spanien, Afrika oder Südamerika – aber nicht aus Deutschland“, sagte die 68-Jährige gestern auf dem Kongress DLD (Digital, Life, Design) in München. Dörrie machte sich aber vor allem für ein Thema stark, das man nicht automatisch mit Hightech verbindet: Landwirtschaft. „Wir alle wissen theoretisch, was der Klimawandel ist und welche Auswirkungen er hat“, so Dörrie auf der Bühne, „aber kaum jemand weiß, was konkret man dagegen tun kann. Wenn man die Arbeit von Menschen wie Benedikt sieht, dann gibt das Hoffnung.“

Gemeint ist Benedikt Bösel. Er sitzt zu ihrer Rechten. Kappe, Vollbart, Leinenhemd: Man sieht dem 39-Jährigen sein früheres Leben als Investment-Banker nicht an. Denn inzwischen ist der gebürtige Münchner international zum Gesicht der nachhaltigen Landwirtschaft in Deutschland geworden. Grund ist die Doku „Farm Rebellion“ beim Streamingdienst Disney+. Sie erzählt, wie Bösel in seinen 30ern eine 180-Grad-Wende machte – und den elterlichen Hof in Brandenburg übernahm.

„Das sind rund 3000 Hektar in einer der trockensten Regionen Deutschlands“, so Bösel. Der Betrieb war konventionell, klare Flächentrennung, Monokulturen. „Wir merken aber, dass das Wetter unberechenbarer wird: Längere Dürren, längere Niederschläge. Und je technisierter die Landwirtschaft ist, desto empfindlicher reagiert sie auf Extremwetter.“ Die Folge: Ausgelaugte Böden, Ernteausfälle. Auf seinem Hof experimentiert Bösel deshalb mit neuen Anbauformen, die eigentlich sehr alt sind: „Die Natur ist ein komplexes System, das aus Kreisläufen und Abhängigkeiten besteht. Je mehr Abwechslung und ökologische Vielfalt ich auf dem Acker habe, desto eher kann er mit Krisen umgehen – und das wird mit dem Klimawandel immer wichtiger.“

Bösel will bewusst nicht mit dem Finger auf konventionelle Landwirte zeigen: „Ich kann mit konventioneller und ökologischer Landwirtschaft Schaden an der Umwelt anrichten. Aber jedes System muss sich an diesen Schäden messen lassen.“ Und die sind enorm: „Laut einer Studie der Boston Consulting erzeugt die Landwirtschaft jedes Jahr 90 Milliarden Euro Schaden durch verunreinigtes Wasser, degradierte Böden und den Ausstoß von Treibhausgasen. Diese ausgelagerten Kosten werden nicht in die Produkte eingerechnet.“ Der gelernte Betriebswirt macht sich deshalb dafür stark, die wahren Kosten von Landwirtschaft abzubilden: „Wenn ich etwa eine Zwischensaat mache, kostet mich das heute nur Geld. Es sollte aber als Wartung für mein Betriebsmittel Boden gelten, was etwa meine Kreditwürdigkeit bei der Bank verbessert.“

Doch genau diese Umweltdienstleistungen seien heute kein Thema: „Die Landwirte haben immer nur gemacht, was ihnen gesagt wurde: Möglichst viel Nahrung, möglichst billig. Heute haben wir genug Nahrung für 12 Milliarden Menschen, verfüttern aber die Hälfte an Tiere und kommen jetzt bei vielen Böden an die Belastungsgrenze.“

Die DLD-Konferenz der Hubert-Burda-Mediengruppe will führende Köpfe aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zusammenbringen. Bei den Vorträgen und Diskussionen geht es um Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz (KI) und Kreislaufwirtschaft. Google, Microsoft, SAP, Wacker Chemie, TU München, HypoVereinsbank, McKinsey, BMW, Oxford, Harvard: An großen Namen fehlt es nicht. MATTHIAS SCHNEIDER

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