Frankfurt – Heute entscheidet die Europäische Zentralbank (EZB) über ihren weiteren Kurs. Das Dilemma für die Währungshüter könnte kaum größer sein. Wir sprachen darüber mit dem Ökonomen Prof. Wieland.
Herr Prof. Wieland, kommt die 10. Zinserhöhung in Folge oder lässt die EZB die jüngsten Zinsschritte erst mal wirken und macht eine Pause?
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat zuletzt ganz klar gemacht, dass die EZB bei der nächsten Sitzung sowohl eine Pause einlegen als auch eine Erhöhung vornehmen könnte, aber jedenfalls keine Zinssenkung. Im Juni klang das noch ganz anders: Ob Pause oder Erhöhung würde von den neuen Daten abhängen, die man bis zur Septembersitzung bekommen würde. Die bisher neu eingegangen Indikatoren geben da kein klares Signal. Deswegen ist es 50:50. Da sich einige Mitglieder des Rates bereits öffentlich festgelegt haben, dass keine weiteren Erhöhungen notwendig sind, aber kaum umgekehrt, scheint mir eine Pause etwas wahrscheinlicher.
Aber die Inflation in der Euro-Zone ist mit zuletzt 5,3 Prozent immer noch weit vom EZB-Zielwert von zwei Prozent entfernt. Ist es da für eine Zinspause nicht zu früh?
Ja. Das wäre auch meine Meinung. Wir kommen aus der Hochinflation und jenseits der Energiepreise, die zurückgegangen sind, bleibt die Inflation sehr hartnäckig. Der Geldmarktzins liegt mehr als einen Prozentpunkt unter der Kerninflation, da er durch den EZB-Einlagezins von 3,75 Prozent bestimmt wird. Die EZB sollte deshalb den Zins, ähnlich wie in USA bereits geschehen, weiter erhöhen, bis er die Kerninflation überschreitet.
Fürchtet die Notenbank, dass sie die Konjunktur in Europa abwürgen könnte?
Das ist wohl ein Grund. Einige EZB-Ratsmitglieder vertreten die Position, dass man im Zweifel die Zinsen länger auf dem aktuellen Niveau lassen könnte. Das würde ihrer Meinung nach reichen, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen, sagen etwa Fabio Panetta oder Ignazio Visco aus Italien. Ich halte das für falsch. Wenn der Zins zu niedrig ist, um restriktiv zu wirken, kann das sogar dazu führen, dass die Inflation wieder an Fahrt aufnimmt.
Aber würde die EZB mit einem solch wankelmütigen Kurs nicht erneut Zweifel daran säen, dass Sie es mit der Inflationsbekämpfung wirklich ernst meint?
Ja. Die EZB ist nicht in einer Situation, in der sie das Risiko eingehen sollte, wieder an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Sie hat sich erst im Frühjahr wieder mehr Vertrauen verschafft, als sie den Zinserhöhungskurs trotz Bankenprobleme fortgesetzt hat.
Riskiert die EZB mit einer Zinspause also ihre Glaubwürdigkeit?
Die EZB kann sagen, dass die Märkte bereits einen zügigen Rückgang der Inflation erwarten. Aber die Märkte lagen in den vergangenen zwei Jahren durchweg falsch, was die Inflationsentwicklung betrifft. So lange die Kerninflation nicht deutlich sinkt, ist die Inflation nicht besiegt.
In den USA rechnen viele Volkswirte bereits mit einer Zins-Pause bis zum November. Was erwarten Sie: Nimmt die EZB dann auch erst mal einen Gang raus?
Die Fed ist bereits viel weiter, was die Zinserhöhungen betrifft. Und in den USA geht die Kerninflation schon länger zurück. Ich befürchte außerdem, dass es der EZB schwerfallen wird, die Zinserhöhungen wieder zu starten, wenn sie sie einmal gestoppt hat.
Interview: Thomas Schmidtutz