Standortfrage: „Wollen wir die Industrie hier überhaupt?“

von Redaktion

Das Vertrauen der Unternehmen in die Energiewende ist am Tiefpunkt, wie eine große Umfrage der bayerischen Industrie- und Handelskammern zeigt. Woran es hakt und was die Wirtschaft jetzt braucht, erklärt Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl.

Herr Gößl, das Vertrauen der Unternehmen in die Energiewende ist auf dem Tiefpunkt – dabei ist die Krise eindeutig fossil. Wie passt das zusammen?

Das Problem ist der Vertrauensverlust in die gesamte Energiepolitik der Bundesregierung. Unser Barometer zeigt: Die Unternehmen waren noch vor einem Jahr relativ zufrieden damit, wie pragmatisch Robert Habeck sich um die Ersatzbeschaffung von Erdgas gekümmert hat. Aber dann kam der Atomausstieg. In dieser Lage ein Kapitalfehler. Und die Unternehmen tappen im Dunkeln, wie es weitergeht: Kommt der Industriestrompreis? Wird die Stromsteuer gesenkt? Gehen die nötigen neuen 50 Gaskraftwerksblöcke bis 2030 in Betrieb? Wie werden die enormen Kosten umgelegt? Zwei Drittel der Firmen beklagen fehlende Planbarkeit und Verlässlichkeit, das ist ganz klar Alarmstufe Rot. Fast 60 Prozent der Betriebe beklagen Bürokratie und 44 Prozent langsame Genehmigungsverfahren. Die Bundesregierung muss sich jetzt klar mit Taten zum Industriestandort bekennen.

Wie wirkt sich das fehlende Tempo aus?

Fatal. Die Unternehmen investieren nur, wenn sie verlässliche Bedingungen haben. Weil die fehlen, halten sie sich jetzt bei Investitionen in Kernprozesse, Klimaschutz und Forschung noch stärker zurück als voriges Jahr. 16 Prozent der Unternehmen schränken ihre Produktion ein oder wollen sie ins Ausland verlagern. Bei der Industrie sind es 33 Prozent, bei Industriebetrieben mit über 500 Mitarbeitern sogar 46 Prozent. Alles Negativrekorde.

Dennoch wollen 70 Prozent der Unternehmen in die Energiewende investieren, mehr als zuvor.

Bei der eigenen Energiewende sind die bayerischen Unternehmen sogar aktiver als der deutsche Durchschnitt. Nur zwei Beispiele: 84 Prozent kümmern sich um mehr Energieeffizienz, bundesweit 80 Prozent. 70 Prozent befassen sich mit eigenen erneuerbaren Energieanlagen, im Vergleich zu 63 Prozent in Deutschland. Aber wenn Sie heute ein Windrad oder eine PV-Anlage bauen wollen, kommt von den Behörden und Energieversorgern kein Jubel, sondern es dauert Jahre. Das Kapital für die Energiewende ist quasi eingefroren. Dabei ist ganz klar: Solarmodule und Windräder müssen kommen und zügig ans Stromnetz angeschlossen werden, auch das ist ein Riesen-Engpass.

Wie kann man diesen Knoten lösen?

Die bayerischen Unternehmen wollen umstellen und sagen: Lasst uns endlich machen. Wenn es ein klares Bekenntnis zum Industriestandort durch entschlossenes politisches Handeln gibt, schaffen wir das auch. Wir brauchen eine klare und verlässliche Ansage der Politik, dass der CO2-Preis das maßgebliche politische Steuerungsinstrument der Energiewende ist, damit sich alle auf die entsprechenden zukünftigen Preissteigerungen einstellen können. Und der Weg zur Klimaneutralität wird dann die weitgehende Elektrifizierung der Wirtschaft sein. Dafür müssen die Strompreise aber jetzt schon attraktiver werden: Die Stromsteuer muss auf das europäische Mindestmaß runter und die Netzentgelte auf selbst genutzten Strom müssen auch weg. Direktlieferverträge von Strom zwischen Grünstromerzeugern und Betrieben müssen zur Norm werden. Zur Beschleunigung fordern wir Investitionszuschüsse für solche Projekte. Und wir brauchen mehr Tempo bei den Genehmigungen: Es kann nicht sein, dass jedes Projekt zig Instanzen durchlaufen muss. Die Bundesregierung spricht von einer Verdoppelung der Geschwindigkeit, aber das wird nicht reichen. Wir sollten das umkehren und prinzipiell alles erlauben, was nicht verboten ist oder Gefahren für Leib und Leben bedeutet.

Interview: Matthias Schneider

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