Industrie besorgt: „Wir werden durchgereicht“

von Redaktion

VON ANDREAS HOENIG

Berlin – Seit Wochen ringt die Ampel-Koalition um Entlastungen der Unternehmen von hohen Strompreisen – in der Industrie wachsen die Sorgen. „Wir verlieren Unternehmen, wir verlieren Wertschöpfung“, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, am Dienstag bei einem BDI-Klimakongress in Berlin. Die Politik müsse in die Gänge kommen. Deutschland werde als Industrie- und Exportnation im internationalen Wettbewerb weiter „nach hinten durchgereicht“, wenn man so weitermache wie bisher. Die Wirtschaft fordert seit Langem Entlastungen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warb bei dem Kongress für einen in der Koalition umstrittenen, temporär begrenzten und staatlich subventionierten „Brückenstrompreis“ für energieintensive Unternehmen. Er sieht in der Debatte Bewegung. Habeck bezifferte die Chancen auf 50 zu 50, dass ein Brückenstrompreis komme. Es komme darauf an, dass energieintensive Firmen weiter Vertrauen in den Standort Deutschland hätten.

Die Grünen und die SPD-Fraktion sind für einen Industriestrompreis, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist skeptisch, die FDP ist dagegen. Die FDP will eine Senkung der Stromsteuer. Dazu sagte Habeck, er wolle beides, einen Industriestrompreis und eine Senkung der Stromsteuer. Letzteres nütze energieintensiven Firmen aber nichts, denn die zahlten keine Stromsteuer. Habeck verwies zudem auf begrenzte Mittel im Bundeshaushalt. Scholz kommt am Mittwoch mit Vertretern der Branche zu einem „Chemiegipfel“ im Kanzleramt zusammen. Auch in der Chemieindustrie sind die Erwartungen an die Bundesregierung groß, dass es schnell zu Entscheidungen zu Entlastungen bei den Energiepreisen kommt.

Der Chef von Wacker Chemie, Christian Hartel, sprach auf dem BDI-Klimakongress von einem „katastrophalen“ Einbruch der Produktion und einer Nachfrageschwäche –die deutsche Chemieindustrie hatte aus Kostengründen ihre Produktion im zweiten Quartal weiter gedrosselt. Hartel sagte, die Energiepreise in Deutschland seien drei- bis fünfmal so hoch wie in den USA oder China. „Wir werden durchgereicht.“ Auch Wacker stelle sich die Frage, ob das Unternehmen noch in Deutschland produzieren könne. Erst am Montag hatte Wacker angekündigt, die Produktion von Spezialsiliconen in China auszubauen.

BDI-Präsident Russwurm hatte bereits am Montag eindringlich vor einer Abwanderung von Unternehmen ins Ausland gewarnt. Wertschöpfung, Betriebe und Arbeitsplätze weiter Teile der energieintensiven Industrie an ihren Standorten in Deutschland seien konkret in Gefahr. Industrielle Produktion breche weg oder werde ins Ausland verlagert. An der Notwendigkeit, den Kampf gegen den Klimawandel energisch zu führen, gebe es nichts zu relativieren. Die Industrie wolle Klimaziele erreichen. „Aber eines wollen wir nicht: auf der Strecke bleiben, oder deutlicher ausgedrückt: untergehen, weil uns die Konkurrenzfähigkeit abhandenkommt und jede verlässliche Planungsgrundlage fehlt.“

Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, sagte am Dienstag: „Wettbewerbsfähige Strompreise sind die Voraussetzung für eine Ausweitung privater Investitionen in die Dekarbonisierung. Ohne diese gibt es auch keinen Klimaschutz.“ Die Bundesregierung müsse nun schnell die richtigen Weichen stellen, damit eine schleichende Deindustrialisierung vermieden werde.

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