„Wir könnten 400 00 Wohnungen bauen“

von Redaktion

INTERVIEW Handwerkspräsident Franz Xaver Peteranderl über den Mangel an Gebäuden

München – Eine bessere Neubauförderung für Familien, weniger Bauvorschriften, geringere Energie-Standards: Nach einem drastischen Einbruch bei den Baugenehmigungen hat die Bundesregierung 14 Maßnahmen präsentiert, die den Bau neuer Wohnungen ankurbeln sollen. Wir sprachen mit Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Bayerischen Handwerkstages (BHT) sowie der Handwerkskammer für München und Oberbayern, über die Pläne.

14 Punkte sollen dafür sorgen, dass in Deutschland neue Wohnungen entstehen. Ist das realistisch?

Das wichtigste Ergebnis ist, dass sich die Regierung überhaupt bewegt hat. Sie hat erkannt, dass die Bauwirtschaft eine Schlüsselbranche ist und dass angesichts des Einbruchs am Wohnungsmarkt etwas getan werden muss. Jetzt ist wichtig, dass die 14 Ankündigungen schnell und unbürokratisch umgesetzt werden.

Welcher Punkt ist Ihnen besonders wichtig?

Ein gutes Beispiel ist der standardisierte Gebäudetyp E.

Was hat es damit auf sich?

Sobald ein Gebäude dieses Typs in einem Bundesland genehmigt wird, kann das gleiche Gebäude in allen anderen 15 Bundesländern auch gebaut werden.

Ohne Genehmigung?

Es gibt noch die örtlichen Genehmigungen, etwa der Abstand zum Nachbargebäude. Auch die Naturschutzbehörde wird noch einmal einen Blick auf den Grünflächenplan werfen. Aber die eigentliche Genehmigung für das Gebäude ist schon durch – das beschleunigt den Bau im Endeffekt erheblich.

Wie läuft das aktuell?

Der Architekt erstellt einen Plan und reicht den Plan zur Genehmigung ein. Da aber jedes Bundesland eine eigene Bauordnung hat und jede Kommune über zusätzliche Regularien verfügt, sind die Verfahren oftmals sehr langwierig.

Sehen Wohngebäude mit diesem Standard in Zukunft allle gleich aus?

Nein, davor braucht niemand Angst zu haben. Beim Gebäudetyp E ist beispielsweise das Treppenhaus standardisiert, es hat eine gewisse Länge, Breite und Höhe, das Steigungsverhältnis der Stufen ist vereinheitlicht. Auch gibt es Standards für die Wandbreiten, den Schallschutz, den Brandschutz sowie Fenstergrößen im Verhältnis zur Tiefe des Raumes. Gestalterisch bleibt aber viel Spielraum.

Und alle reden auf einmal von einem Baustandard EH40, den die Bundesregierung aussetzen will.

Das ist einer der wichtigsten der 14 Punkte, weil durch das Aussetzen eine weitere Verteuerung am Bau erst einmal gestoppt wird.

Was steckt hinter EH40?

Die Abkürzung steht für „Effizienzhaus 40“. Diese Vorschrift besagt, dass ein neues Wohnhaus maximal 40 Prozent der Energie verbrauchen darf, verglichen mit einem früheren Haus.

Wie lässt sich 40 Prozent an Energie einsparen?

Indem beispielsweise das gesamte Warmwasser über Solarthermie aufgeheizt und die Heizung mit einer Wärmepumpe kombiniert mit einer Photovoltaikanlage betrieben wird. Hinzu kommen entsprechende Wanddicken und Dämmungen sowie Lüftungsanlagen, damit auf das Öffnen der Fenster verzichtet werden und die warme feuchte Raumluft einfach abgesaugt werden kann.

Wie wirkt sich das auf die Bauskosten aus?

Früher machte der Rohbau 60 Prozent und die Anlagentechnik 40 Prozent der Kosten beim Hausbau aus – heute haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Und wäre der EH40-Standard gekommen, wäre es noch teurer geworden. Ohnehin ist fraglich, ob diese Standards immer sinnvoll sind.

Warum?

In Mietwohnungen, in denen eine Zwangslüftung eingebaut ist, müssten eigentlich die Mieter die Filter der Anlage regelmäßig reinigen. Aus Erfahrung wissen wir aber: Das machen nur wenige. Die Filter verstopfen, die Anlagen werden zu Virenschleudern für die Nachbarn. Das größte Problem ist aber, dass die Raumluft nicht mehr wie vorgesehen abgesaugt wird. Wird dann nicht regelmäßig stoßgelüftet, steigt die Luftfeuchtigkeit. Und wenn die Anlage nachts automatisch die Raumtemperatur senkt, kann an den Außenwänden Wasser kondensieren, das Schimmelrisiko steigt. Natürlich kann ich auch nachts im Bad das Fenster gekippt lassen – dann heize ich aber zum Fenster raus und die ganze schöne Energiespar-idee ist dahin.

Aber der EH40-Standard ist ja jetzt vom Tisch.

Das stimmt. Trotzdem bleibt ein Problem: Anders als früher wird der jetzt gültige EH55-Standard nicht mehr gefördert. Aber junge Familien bräuchten genau jetzt eine Förderung. Wir hatten bis zum Ende der Merkel-Ära eine KfW-Bauförderung von 18 Milliarden Euro – jetzt sind wir bei circa 1,8 Milliarden.

Immerhin sollen nach dem 14-Punkte-Plan der Regierung in Zukunft auch Familien bis zu einem Jahreseinkommen von 90 000 Euro statt 60 000 Euro Fördergelder erhalten. Kann man sich in München und Oberbayern mit 90 000 Euro im Jahr überhaupt noch ein neues Haus leisten?

Man muss weg von dem Fokus auf Einfamilienhäuser. Entscheidend ist, dass sich junge Familien eine Eigentumswohnung leisten können. In Bayern gibt es zusätzlich noch ein Programm für Zinsverbilligungen. Dass die Einkommensgrenzen auf Bundesebene jetzt angehoben werden sollen, ist ein Schritt in die richtige Richtung und erweitert den Kreis derjenigen, die sich eine eigene Wohnung kaufen können.

Dass gerade kaum jemand baut, liegt an hohen Zinsen und den gestiegenen Baukosten. Glauben Sie, dass es die Regierung mit ihren Plänen schafft, dass Häuser unterm Strich jetzt wieder so viel kosten wie vor der Krise werden?

Nein, das nicht. Aber unterschätzen darf man den Regierungsplan nicht. Das wird klar, wenn man sich Folgendes vor Augen führt: Wir hatten 15 Jahre in der Baubranche eine stabile Entwicklung nach oben, Baufirmen, die vernünftig gearbeitet und gewirtschaftet haben, konnten investieren und Personal aufbauen. Viele Betriebe haben noch im vergangenen Herbst auf der Bauma in München neue Maschinen gekauft, in der Annahme, 400 000 Wohnungen pro Jahr würden gebaut werden. Auch im Straßen- und Schienenverkehr gibt es ja einen immensen Baubedarf.

Aber gerade bei Wohngebäuden werden Bauprojekte reihenweise abgesagt oder verschoben.

Mit dem Plan der Regierung besteht jetzt zumindest die Hoffnung, dass die Kunden und Projektentwickler wieder Mut fassen und Aufträge an die Baufirmen vergeben, damit diese ihr Personal halten können und nicht ausstellen müssen – das wäre fatal.

Was wäre die Folge?

Was passieren würde, haben wir zwischen 2002 und 2008 schon einmal gesehen: Damals haben die Baufirmen Personal freigestellt. Diese Mitarbeiter sind aber, als die wirtschaftliche Situation wieder besser wurde, nicht mehr zurückgekommen. Ähnliches hat die Gastronomie während der Corona-Schließungen erlebt. Das darf uns in der Baubranche nicht passieren. Angesichts des Fachkräftemangels dürfen wir gerade jetzt keinen einzigen Mitarbeiter verlieren. Denn mit den derzeitigen Kapazitäten wären die Baubetriebe durchaus in der Lage, knapp 400 000 Wohnungen im Jahr zu bauen.

Und wenn sie nicht gebaut werden?

Allein aufgrund von 200 000 bis 300 000 Migranten in diesem Jahr ist der Wohnungsbedarf enorm, die Mieten steigen. Steuert die Regierung nicht gegen, wird erst dann wieder gebaut, wenn die Mieten so hoch sind, dass es sich für Investoren wieder lohnt. Dann reden wir aber von Mieten, die sich viele gar nicht mehr leisten können – das birgt erheblichen sozialen Sprengstoff.

Wie ließen sich die Baukosten noch reduzieren?

Wenn man an die ganzen Auflagen rangeht, könnten die Preise um 15 bis 20 Prozent im Vergleich zu den jetzigen Baupreisen fallen. Aber in Deutschland wird nun mal alles bis ins kleinste Detail geregelt.

Haben Sie ein Beispiel?

Ich habe für einen Kunden mehrfach große Maschinengruben gebaut. Bei den neueren hatte sich aufgrund der geänderten Norm der Bewehrungsanteil verdoppelt.

Mit welcher Konsequenz?

Die Berechnungen nach der neuen Norm haben viel mehr Stahlbedarf ergeben – und das, obwohl die Statik dies nicht erforderte und mehr Stahl den CO2-Fußabdruck des Gebäudes erhöhte.

Warum werden Auflagen ständig strenger?

Meine Beobachtung ist, dass in den zuständigen Ausschüssen heute kaum Praktiker sitzen.

Ist nach dem Baugipfel im Kanzleramt Besserung in Sicht, was die vielen Detailregeln angeht?

Nein, leider nicht, das nächste Projekt ist in der Pipeline: In Zukunft soll bei der Sanierung von Bestandsbauten geprüft werden, ob in der Wandfarbe, im Kleber oder sonst irgendwo Asbest verbaut ist. Dann steigen die Kosten für Sanierung und Entsorgung. Ich befürchte, dass die Regierung jetzt auf der einen Seite zwar Regeln zurücknimmt und das Bauen kurzfristig billiger macht – es durch neue Regulierungen aber langfristig wieder teurer wird.

Interview: Sebastian Hölzle, Corinna Maier, Andreas Höß

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