Ulm – Als der grüne Lkw von MAN über das Containerterminal rollt, nimmt der Fahrer demonstrativ die Hände vom Lenkrad. Schon fährt das tonnenschwere Gespann mit einen Container beladen autonom durch das Werkstor, sortiert sich selbstständig an einem Kreisverkehr zwischen Fahrzeugen ein und biegt auf ein Areal der Bahn ab. Dort bringt es seinen Container zum bestellten Platz auf einem wartenden Güterzug, wo ihn der Kran verlädt. Im Fahrerhaus sitzt zwar noch ein Mensch, der ist aber nur dazu da, im Notfall einzugreifen. Doch das muss er nicht: Der Laster erledigt seine Aufgabe ohne Probleme.
Autonom fahrende Trucks, die selbstständig Container zwischen Bahnhöfen und Logistikzentren hin- und herfahren: „Das ist die Zukunft“, glauben Frederik Zohm und Martina Niemann. Zohm ist Entwicklungschef beim Nutzfahrzeughersteller MAN in München und Niemann Vorständin bei DB Cargo, der Logistiktochter der Deutschen Bahn. Drei Jahre haben beide zusammen mit der Fresenius Hochschule und den Sensorexperten der Firma Götting an dem europaweit wohl einzigartigen Projekt mit dem grünen Lkw gearbeitet. Dessen reibungslose Abschlussfahrt zeigt nun: mit Erfolg.
Eine Herausforderung sei gewesen, dass sich der Lastwagen im Chaos des Terminals mit all den anderen Fahrzeugen, Güterzügen, Containern, Kränen und herumlaufenden Personen zurechtfindet, erklärt Frederik Zohm. „Hier ist es extrem eng, es gibt kaum feste Bezugspunkte und alles ist in Bewegung.“ Damit sich der Truck orientieren kann, haben ihm die Ingenieure sechs Kameras sowie Radarsysteme und Sensoren an die Kabine gebaut. „Sie tasten das Umfeld ab und erfassen eine Millionen Daten“, sagt Zohm, „und das pro Sekunde“. Um diese Datenflut auszuwerten und den Laster zu steuern, ist das Führerhaus mit Kabeln und Rechnern vollgestopft.
Doch nicht nur das Fahren hat den Tüftlern Kopfzerbrechen bereitet. Auch die Kommunikation des Lasters mit dem Terminal war wichtiger Teil des Projektes. Bisher sagt ein Disponent dem Fahrer, zu welchem Zug und Waggon er welchen Container bringen muss – eine zeitraubende Tätigkeit. Mit Hilfe der Hochschule Fresenius wurde nun eine Software entwickelt, die das alles automatisch macht. Der Lkw weiß also selbst, was er wohin liefert.
Der Charme der Automatisierung: „Sie beschleunigt die Abläufe auf dem Terminal enorm“, sagt Martina Niemann von DB Cargo. Außerdem müsse man weniger Rücksicht auf gesetzliche Ruhezeiten, Nachtpausen oder Feiertage nehmen und könne trotz Fahrermangel deutlich mehr Container verarbeiten. „Theoretisch kann das Terminal so rund um die Uhr laufen.“ Niemann sieht durch die autonomen Lkw Potenzial für bis zu 40 Prozent Effizienzgewinn an den Logistikterminals.
Frederik Zohm von MAN geht sogar noch weiter. Dass die autonomen Fahrzeuge innerhalb der Terminals rollen, ist für ihn lediglich ein Zwischenschritt. Er will sie auch auf der Autobahn zwischen den Logistikzentren automatisch Dinge hin- und herliefern sehen. „Das Projekt in Ulm war dafür eine wichtige Grundlage“, sagt er. „Wir haben dabei viel gelernt.“ Ab 2030 will MAN autonome Trucks in Serie fertigen.
Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Die Objekterkennung müsse verfeinert und Haftungsfragen geklärt werden, so Zohm. Außerdem müssten Partner wie die Spediteure, die Logistiker und die Bahn ihre Systeme konsequent weiter digitalisieren, damit die Lkw mit ihren kommunizieren können. Zuletzt müsse auch gesellschaftlich noch eine Debatte geführt werden. „Immerhin sind das bis zu 40 Tonnen schwere Fahrzeuge, die dann selbstständig über unsere Straßen fahren werden“, sagt der MAN-Vorstand. „Da müssen wir vorab klären ob wir das wirklich wollen.“